Ersteres ist die Vorstellung, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus die freie Marktwirtschaft, dazu in Europa Frieden und Integration sozusagen unausweichlich weitergehen würden. Als gäbe es das Versprechen der Demokratie für eine bessere Zukunft, ohne dass wir etwas dafür tun müssten. Die Politik der Ewigkeit hingegen rückt laut Snyder die Nation in den Mittelpunkt, die immer wieder Opfer sein muss: „Ewigkeitspolitiker produzieren Krisen und manipulieren die damit verbundenen Emotionen. Um von der Tatsache abzulenken, dass sie unfähig oder nicht willens sind, Reformen einzuleiten, lehren sie ihre Bürger, immer wieder Hochgefühl und Empörung zu durchleben, sodass die Zukunft in der Gegenwart versinkt.“
Der Historiker Snyder sieht die Regierung in Moskau als Zentrum der Ewigkeitspolitik. Wladimir Putin war ein unbekannter Ex-Geheimdienstler und Bürokrat, als er Präsident werden wollte. Ein Krieg gegen Tschetschenien nach Bombenattentaten unbekannter Täter und die Stürmung eines von Terroristen besetzten Theaters im Jahr 2000 mit Hunderten toten Zivilisten zeigten ihn als Mann, der gegen Bedrohungen aller Art auftritt. Auch der Krieg gegen die Ukraine ab 2014 sollte den starken Mann zeigen.
Dass die Russen nach dem Verfall der Preise für Erdöl und Erdgas auf Wohlstand verzichten mussten, während einige wenige Milliardäre wurden, musste dann ideologisch begründet werden: Der Kampf gegen den Westen und die Gründung einer eurasischen Wirtschaftszone würden eben Geld und Zeit kosten. Dabei ließ sich Putin bald ideologisch von nationalistischen und antisemitischen Autoren, auch längst verstorbenen leiten.
Wer das Leben der Menschen nicht verbessern kann, muss ihnen Bedrohung vorspielen – auch die offene Homosexualität in westlichen Gesellschaften wird als Gefahr bezeichnet – und mit Nationalismus spielen. Und andere Länder destabilisieren. Wie sehr Putins Leute mit Geld und anderen Unterstützungen die EU und die USA kaufen wollten, zeigt Snyder anhand der Kontakte zu rechtsextremen Parteien in Europa und der Förderung von Trump. Die FPÖ kommt nur kurz vor, ihr Kooperationsabkommen 2016 mit Putins Partei war aber wichtig, spätestens als die FPÖ im Dezember 2017 in die Regierung kam. Das war der Sicherheit Österreichs nicht förderlich; seither reduzierten westliche Geheimdienste ihre Zusammenarbeit wegen dieser Kontakte der FPÖ auf das Nötigste. Immerhin hatte die FPÖ auch Kontakte zum russischen Faschisten Alexander Dugin, der bei Putin wohlgelitten ist. Statt echter Reformen den Menschen Bedrohungen vorspielen und Ängste wecken, das könnte die FPÖ in Russland gelernt haben.
Ex-Vizekanzler Erhard Busek hat für mein Buch „Kurz und Kickl – ihr Spiel mit Macht und Angst“ ein Vorwort geschrieben, in dem er unter anderem aus einer Diskussion mit dem damaligen Innenminister Herbert Kickl berichtet. Busek: „Meine Ansicht war, dass die Politik die Aufgabe habe, den Menschen Angst zu nehmen. Seine Antwort war klar: Die Politik muss Angst machen, sonst kann sie nichts verändern.“ Aber was soll verändert werden? In Österreich konnte man in der Zeit der Regierung Kurz/Strache das Gefühl bekommen, dass der Zusammenhalt in der Bevölkerung abgebaut werden soll, dass wir unterscheiden nach In- und Ausländern, nach „Leistungsträgern“ und „Faulenzern“. Das ist besonders perfide, weil da jeder seine eigene Vorstellung haben kann. Nochmals Busek: „Subsidiarität kann nur funktionieren, wenn es die Solidarität gibt.“ So sieht das ein gelernter Christlich-Sozialer. „Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam“ ist die erste von 20 Lektionen, die Snyder in „Über Tyrannei“ rät. Da kann jeder über sich selbst nachdenken.
Andere Lektionen erinnern, dass sich Österreich unter einem Innenminister Kickl auf den Weg in Richtung eines totalitären Staates begeben hat, und Sebastian Kurz zugesehen hat, bis er sich persönlich bedroht fühlte. Alleine die Aussagen des damaligen Bundeskanzlers im BVT-Untersuchungsausschuss müssen uns Sorgen machen – ein Regierungschef, der die Zerstörung einer der wichtigsten Institutionen des Landes offenbar beiläufig und durch Zeitungslektüre beobachtet. Das muss Kurz auch noch lernen: Wer die Institutionen der Demokratie zerstört, will die Demokratie selbst zerstören. Zu diesen demokratischen Institutionen gehören auch freie Medien. Dass Kurz und Kickl damit wenig anfangen können, wird in dem Buch auch beschrieben. Und noch ein Faktum: Begonnen habe ich das Buch, lange bevor die Regierung im Streit aufgegangen ist. Es ist die Arbeit eines besorgten Journalisten.
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