Bulgariens Wahlsieger - oder „die unehrlichste Person, die ich je getroffen habe“

Ein Mann im Anzug wirft einen Stimmzettel in eine Wahlurne.
Auch nach dem vierten Wahlgang wird eine Regierungsbildung schwierig. Kaum eine Partei will mit Bulgariens größter Partei koalieren. Korruptionsvorwürfe stehen noch immer im Raum

Ohne ihn scheint derzeit in Bulgarien nichts zu gehen – mit ihm aber auch nichts: Bojko Borissow, mehrfacher Regierungschef im ärmsten Land der EU, hat die Wahlen am Sonntag in Bulgarien mit rund einem Viertel der abgegeben Stimmen gewonnen. Das erstaunt umso mehr, als der bullige Ex-Bodyguard und Kampfringer vor nicht einmal zwei Jahren nach massiven Protesten und noch massiveren Korruptionsvorwürfen geradezu aus dem Amt gefegt worden war.

Vier Mal hat Bulgarien seither gewählt. Stabile Koalitionen haben sich dabei nicht ergeben. Meist war der größte gemeinsame Nenner der jeweiligen Regierungspartner der Wunsch, Borissows Rückkehr an die Macht zu verhindern. Seit Juli führte eine Übergangsregierung das Land.

Jetzt ist Borissow zurück. Seine bürgerlich-konservative GERB-Partei hängte die Reform-orientierte Anti-Korruptionspartei mit dem klingenden Namen „Wir setzen den Wandel fort“ um fünf Prozentpunkte ab. Haben die Bulgaren dem früheren Premier und vielen seiner korrupten Parteifreunde verziehen?

18 Prozent Inflation

Keinesfalls, meint Desislava Apostolova, „aber die meisten Menschen wünschen sich angesichts der Krise bei uns im Land stabile Verhältnisse. Wir haben fast 18 Prozent Inflation, und es ist noch nicht ganz sicher, wie wir angesichts des kompletten russischen Gaslieferstopps über den Winter kommen. Und von Borissow, der Erfahrung hat als Premier, der Brüssel und die EU kennt, erhoffen sich offenbar viele Bulgaren die meiste Stabilität“, sagt die Journalistin des staatlichen bulgarischen Senders BNT zum KURIER.

Wobei am Sonntag die Wahlbeteiligung bei nur noch rekordträchtig niedrigen 35 Prozent lag. Apostolova kann es den bulgarischen Wählern nicht verdenken: „Wir sind es leid. Vier Mal wählen, und noch immer ist nicht klar, ob wir nicht im Jänner ein fünftes Mal wählen werden. Dabei würden wir so dringend endlich eine stabile Regierung brauchen.“ Denn ohne eine solche bleibt Sofia auch der Zugang zu den Förderungen aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds verwehrt. 12 Mrd. Euro sind blockiert.

Pro-russische Parteien

Das Problem: Mit Ausnahme der Partei der türkischen Minderheit will keine Partei mit Borissows GERB koalieren. Aber auch die Reform-orientierten und liberalen Parteienrund um den Kurzzeit-Ex-Premier Kiril Petkow schaffen zusammen keine Mehrheit.

Zwei Männer stehen vor Mikrofonen und sprechen.

Reformorientierter Kurzzeit-Premier Kiril Petkow, Chef der Partei "Wir setzen den Wandel fort"

Bleiben noch zwei ultra-nationalistische, pro-russische Parteien – sie erhielten zusammen 15 Prozent der Stimmen – mit ihnen will aber sowieso keine der anderen Parteien zusammenarbeiten.

Da wäre aber noch die winzige Chance, dass sich Petkows Reformer mit GERB zusammenfinden, wenn Parteichef Bojko Borissow abträte. Denn für den 42-jährigen Harvard-Ökonom Petkow ist Borissow ein rotes Tuch – und „die unehrlichste Person, die ich je getroffen habe“.

Kommentare