Britisches Unterhaus entzieht Johnson den Parlamentspass

Kaum ein Tag hätte symbolträchtiger sein können, um über die politische Zukunft von Boris Johnson zu entscheiden, als der 19. Juni: der 59. Geburtstag des früheren Premierministers. Und das britische Unterhaus machte dem Ex-Premier kein schönes Geschenk: Der Bericht des Ausschusses über Lügen Johnsons wurde mit großer Mehrheit angenommen. Das Unterhaus in London stimmte am späten Montagabend mit 354 zu 7 für einen entsprechenden Antrag. Viele Mitglieder von Johnsons Konservativer Partei hatten sich enthalten oder waren gar nicht erst zu der Debatte erschienen. Auch der amtierende Regierungschef Rishi Sunak blieb der stundenlangen Sitzung fern.
Parlamentspass entzogen
Der mehrheitlich konservativ besetzte Parlamentsausschuss war in dem Bericht zu dem Schluss gekommen, dass Johnson das Unterhaus in der „Partygate“-Affäre über verbotene Feiern während der Corona-Pandemie wiederholt belog. Der empfohlenen 90-tägigen Suspendierung aus dem Parlament kam der konservative Politiker zuvor, indem er sein Mandat niederlegte. Das Unterhaus entzog ihm aber den Parlamentspass, der ehemaligen Abgeordneten eigentlich zusteht.
Denn am Ende waren es die privaten Partys, die den Bann des charismatischen, stets leicht verwirrt wirkenden Politikers brachen. „Boris Johnson hat uns zum Narren gehalten. Jetzt haben wir Beweise“ titelte sogar der konservative Spectator vergangenen Donnerstag, als der Privilegienausschuss seine gravierenden Ergebnisse veröffentlichte. Der Sukkus: Boris Johnson hat sowohl das Parlament als auch den Ausschuss wissentlich in die Irre geführt, das Vertrauen gebrochen; versucht, das Komitee einzuschüchtern und damit den demokratischen Prozess untergraben.
Trotziger Abschiedsbrief
Johnsons Abschiedsbrief war gespickt mit trotzigen Anschuldigungen gegen das „Kängurugericht“, dass ihn zum Rücktritt gezwungen haben soll. Aber natürlich, vielleicht war Johnson lediglich überrascht. Immerhin war dem Mann, der schon als Kind „Weltkönig“ werden wollte, davor so gut wie alles verziehen worden.
Der Tapeten-Skandal 2021 etwa: Johnson versuchte, die 129.000-Euro-Renovierung seiner Wohnung in der Downing Street mit britischen Sponsorengelder der Torys zu finanzieren. Oder die Anschuldigungen 2019, dass er die frühere Königin Elizabeth belogen haben soll. Oder seine Brexit-Lüge 2016, dass England 350 Millionen Pfund pro Woche an die EU schicken würde und dieses Geld für das staatliche Gesundheitssystem verwendet werden könnte – eine Falschaussage, die in riesigen weißen Lettern den roten „Vote Leave“-Kampagnenbus zierte.
Viele falsche Versprechen
Seit Beginn seiner Karriere war nicht nur jegliche Kritik an ihm abgeperlt, sie hatte ihn auch nicht daran gehindert, die Karriereleiter weiter nach oben zu klettern. 1988 wurde er von der Times gekündigt, weil er Zitate erfunden hatte. 1999 wurde er Herausgeber des Spectator und versprach, nicht als Parlamentsabgeordneter zu kandidieren. Er kandidierte und versprach, seine Arbeit beim Spectator aufzugeben, wenn er Abgeordneter werde. Er wurde Abgeordneter und legte seine Arbeit beim Spectator nicht zurück. 2014 versprach Johnson – zu dem Zeitpunkt Londoner Bürgermeister – mindestens 17 Mal, nicht als Premierminister zu kandidieren. Er kandidierte.
All das war bekannt, bevor er 2019 Premierminister wurde. Die gestrige Sitzung kam exakt drei Jahre nach jenem Event, das Johnsons Kartenhaus erstmals richtig ins Wanken brachte. Am 19. Juni 2020 – als sich Großbritannien im Lockdown befand, Geschäfte geschlossen, nur lebensnotwendige Spaziergänge erlaubt und soziale Treffen verboten waren – hatte Johnson Geburtstag gefeiert. Der Sekt sei doch nur aus Plastikgläsern getrunken worden und er habe die Torte nie gegessen, wiederholte er immer wieder, als die Feier mit der sogenannten Partygate-Affäre vor einem Jahr ans Licht kam. Aber da war es bereits zu spät.
"Einfluss nie so hypnotisierend, wie Superfans vorgeben"
Nach all seinen Lügen, falschen Versprechen, offiziellen Fehltritten und unüberlegten Ausrufen war er über etwas gestolpert, dass die Briten ihm nicht mehr verzeihen konnten – zu groß war der eigene Schmerz. „Johnsons Einfluss auf die meisten Wähler war nie so hypnotisierend, wie seine Superfans noch immer vorgeben“, sagt Politikprofessor Tim Bale von der Queen Mary University. „Aber er hätte vielleicht noch länger anhalten können, wenn die Enthüllungen über Partygate nicht mit immer mehr Beweisen dafür zusammengefallen wären, dass der Brexit nicht funktioniert – und das zu einer Zeit, in der große Teile der Bevölkerung mit einer Lebenshaltungskostenkrise konfrontiert sind.“
Doch ganz ist der Zauber noch nicht verblasst. Am Freitag enthüllte die Daily Mail Johnson als ihren neuen samstäglichen Kolumnisten. Eine Aktion, die ihn einmal mehr in die Bredouille mit dem Gesetz bringt. Denn dass er den Job angenommen habe, ohne ihn mit den Behörden zu klären, sei ein Bruch des Ministerialkodex.
Seinen Geburtstag verbracht Johnson laut Times übrigens in Oxford, mit einer Feier: Familienmitglieder und enge Freunde, keine große Party. Zumindest von seiner Geburtstagstorte konnte er diesmal wohl kosten.
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