"Blutbad, Schlachterei, Gräuel"

Während der Krieg um Aleppo eskaliert, vertiefen sich die diplomatischen Gräben.

Er, der seinen Namen nicht nennen will, war gerade auf der Straße unterwegs, Besorgungen machen, da ging es los. "20 Granaten und Raketen haben in der Umgebung eingeschlagen." Danach hat er aufgehört zu zählen und sich versteckt. Zu gefährlich auf der Straße. Fazit, so schreibt er: "Heute ist ein schrecklicher Tag." Und: "Sicher ist es nirgendwo mehr."

Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff auf den von der syrischen Armee gehaltenen Westteil Aleppos – Querschläger des im vollen Umfang tobenden Krieges um den östlichen Teil der Stadt, in dem sich Rebellen verbarrikadiert haben und belagert werden. Die Armee und ihre Verbündeten haben eine Offensive gestartet. Unterstützt wird sie von Syriens wie Russlands Luftwaffe. In dem von Aufständischen gehaltenen Stadtteilen leben aber 250.000 bis 300.000 Zivilisten.

"Blutbad, Schlachterei, Gräuel"
"Hysterisch"Es ist vor allem ihr Schicksal, das zum Anlass schwerer internationaler Zerwürfnisse geworden ist. Eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York am Donnerstag führte zu keinem Ergebnis – trotz der in diplomatischen Gefilden äußerst emotionalen Zuschaltung von UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien. Der schilderte plastisch die Lage im Ostteil der Stadt. Vor allem die Auswirkung der seit Kurzem eingesetzten Bunker-brechenden Munition auf Zivilisten, für die nun auch Keller nicht mehr sicher sind. "Blutbad, Schlachterei, Gräuel" nannte er die Angriffe. Wenn der Sicherheitsrat nicht eine 48-stündige Waffenruhe erreiche, so stehe er auf der falschen Seite der Geschichte. Es sei Zeit, so O’Brien, Namen zu nennen, Schuldige, die internationales Recht mit Füßen träten.

Dass es die zweite Sitzung des UN-Sicherheitsrates binnen eines Tages war, nannte Syriens UN-Botschafter al-Jafari indes "hysterisch". Man dürfe sich nicht in Details verlieren. Zu der Sitzung kam er nicht. Russlands UN-Botschafter schickte den zweiten Stellvertreter.

US-Außenminister Kerry sieht die USA indes "an der Grenze zum Abbruch der Kooperation" mit Russland in der Syrien-Frage. Sein Sprecher legte nach: Dies sei keine "leere Drohung". Verbunden ist das mit der Forderung an Russland, die Luftangriffe einzustellen. Zugleich glühen die diplomatischen Kanäle zwischen Washington, Moskau, Berlin und Ankara.

Hunderte VerletzteSeit Beginn der Offensive auf Aleppo vor zehn Tagen sind laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mindestens 300 Menschen getötet worden. Laut UN-Kinderhilfswerk UNICEF starben binnen einer Woche knapp 100 Kinder. Hunderte Menschen wurden verletzt. Die UNO fordert einen sicheren Korridor für Schwerverletzte und Menschen, die fliehen wollen. Von den zuvor acht in Ost-Aleppo existierenden Spitälern existieren nach Treffern nur mehr sechs – mit zusammen rund 35 Ärzten. Zudem fehlen Nahrung und Wasser.

Laut Wall Street Journal überlegen US-Geheimdienste jetzt, Rebellen im Großraum Aleppo mit weitreichenden Artillerie- oder auch Luftabwehrsystemen auszustatten – was eine massive Eskalation bedeuten würde, denn bisher ist die Lufthoheit Syriens und Russlands praktisch ungebrochen. Ein solcher Schritt könnte sich für die USA aber als Bumerang erweisen, da radikale Gruppen in der Region einflussreich sind.

Wie das SOHR vorrechnet, sind es vor allem die Luftangriffe, die die Opferzahlen in die Höhe haben schnellen lassen. Russlands vor genau einem Jahr begonnene Luftkampagne habe bisher 9364 Todesopfer gefordert – darunter 3804 Zivilisten.

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