2000 Europäer kämpfen im syrischen Bürgerkrieg

Der Franzose Nicolas Bons (li.) und dessen Bruder starben in Syrien.
Immer mehr junge Männer und Frauen nehmen am Aufstand gegen Diktator Assad teil. Österreich und andere Länder wollen gegensteuern.

So viel ist sicher: Sabina S. und Samra K. sind seit mehr als zwei Wochen verschwunden. Über Ankara flogen die zwei 15 und 16 Jahre alten Wienerinnen ins südtürkische Adana, 140 Kilometer von Syrien entfernt – eine beliebte Route für Europäer, die in das Bürgerkriegsland wollen. Sabina und Samra hinterließen Abschiedsbriefe: "Wir gehen nach Syrien, kämpfen für den Islam. Wir sehen uns im Paradies." Die Angehörigen der beiden bisher völlig westlich lebenden, bosnisch-stämmigen Mädchen können sich deren Verschwinden nicht erklären.

80 Österreicher

So geht es auch Hunderten anderen Familien in Europa. Immer mehr junge Menschen machen sich auf den Weg nach Syrien, um an der Seite der Rebellen gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Ihre Zahl wird europaweit auf 1500 bis 2000 geschätzt. Allein aus Österreich beteiligten sich laut Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bisher rund 80 Personen am bereits drei Jahre dauernden Bürgerkrieg. Zehn starben dabei.

Was aus Sabina und Samra wurde, ist unklar. Niemand weiß, ob sie tatsächlich in Syrien sind. Außer dubiosen Internet-Postings und Fotos, die die zwei verschleiert zeigen, deren Echtheit aber fraglich ist, gibt es viele Gerüchte, aber kein eindeutiges Lebenszeichen. "Es gibt nichts Neues", sagt Adina Mircioane, Sprecherin der Wiener Polizei. "Wir haben Kontakt mit den türkischen Behörden und warten auf neue Informationen." Auch in Österreich werde, wie bei Abgängigkeitsanzeigen üblich, ermittelt. Sabinas Vater befürchtet, dass die Mädchen entführt wurden.

Dass nicht nur junge Männer, sondern auch junge Frauen in den Krieg ziehen, ist keine Seltenheit mehr. Allein aus Deutschland gingen inzwischen mehr als 40 Frauen nach Syrien, um dort Dschihadisten zu heiraten – was im Internet romantisch verklärt wird – oder selbst zu kämpfen. Emotionalisiert und radikalisiert werden sie wie Männer durch Videos von Kriegsgräueln, Bekannten oder Hetzern im Internet, die zunehmend auch weiblich sind. Ist der Entschluss einmal gefasst, ist er relativ leicht umgesetzt: Im Vergleich zu Ländern wie Afghanistan ist die Einreise nach Syrien einfach möglich. Zuerst per Flugzeug in die Türkei und dann über die grüne Grenze – fertig. Behilflich sind dabei Netzwerke, die auch Geld für die Reise bereitstellen.

Meldestellen

Um zumindest die Ausreise zu erschweren, will Frankreich, aus dem derzeit rund 500 syrische Kämpfer stammen, nun eine Regelung aus dem Vorjahr kippen. Diese erlaubt Minderjährigen eine Ausreise ohne Zustimmung der Eltern. Auch eine Meldestelle für besorgte Angehörige ist geplant.

Eine solche soll es noch in diesem Jahr auch in Österreich geben. "Radikalisierung ist ein Prozess. Man wird nicht über Nacht radikal", erläutert der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, gegenüber dem KURIER die Wichtigkeit der sogenannten De-Radikalisierungs-Hotline. "Sie bietet nahestehenden Personen, die eine Radikalisierung beobachten, eine zentrale Kontaktstelle." Es gehe darum, möglichst früh Einfluss auf Menschen nehmen zu können, bevor sie Straftaten begehen.

So sieht es auch die Polizei in Großbritannien, von wo aus 400 Menschen nach Syrien gegangen sind. Sie plant eine Kampagne, die vor allem muslimische Frauen ermuntern soll, Veränderungen bei jungen Menschen zu melden. Wie aussichtsreich das ist, ist umstritten. Viele Muslime haben Skepsis gegenüber Behörden – oder wissen wie andere Eltern auch nur wenig von Gefühlswelt und Vorhaben ihrer Kinder.

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