Beirut: Zwischen Dschihad und Disco

A Sunni Muslim gunman, wearing a mask, fires his weapon in front of burning tires, in solidarity with Salafist leader Ahmad al-Assir in Tripoli, northern Lebanon, June 23, 2013. At least three Lebanese soldiers were killed in the coastal city of Sidon on Sunday in clashes with followers of a Sunni Islamist cleric who is a fierce critic of Hezbollah's military intervention in neighbouring Syria, a security official said. Sources in the city said the fighting broke out when a follower of Sheikh Ahmed al-Assir was arrested at an army roadblock in Sidon, 40 km (28 miles) south of Beirut. REUTERS/Omar Ibrahim (LEBANON - Tags: POLITICS CIVIL UNREST TPX IMAGES OF THE DAY)
Libanon: Das Land gerät immer mehr in den Sog des syrischen Bürgerkrieges – immer öfter eskaliert der Konflikt auch in Beirut.

Beirut, das ist der Libanon in konzentrierter Dosis – mit all seinen Extremen. Straßencafés, Bars, Nachtclubs im Zentrum; Spannungen in den Vororten, die oft blutig enden. Am Mittwoch überfielen Bewaffnete laut Berichten in Beirut einen Bus mit Syrern und Palästinensern und stachen einige davon nieder. Und am selben Tag wurde ein iranisches Kamerateam von Unbekannten attackiert. Der syrische Bürgerkrieg strahlt aus. Der Iran unterstützt die im Libanon beheimatete schiitische Hisbollah und Syriens Präsidenten Assad. Und immer öfter gerät Beirut in den Sog dieser Krise.

Eskalation

Beirut: Zwischen Dschihad und Disco
epa03758354 (FILE) A file photo dated 08 February 2013 shows the prominent Sunni Muslim Salafist leader, Ahmed al-Assir (C) surrounded by bodyguards during a rally following Friday prayer in solidarity with the Syrian people and Syrian refugees at Tariq al-Jadidah in Beirut, Lebanon. Media reports on 24 June 2013 said that al-Assir escaped from the complex of the Bilal bin Rabah mosque and that 30 to 40 of his followers were killed in the clashes in the district of Abra in the southern port city. At least 16 soldiers were killed, and 100 civilians injured in the clashes that erupted on 23 June when al-Assir's supporters killed three soldiers at an army checkpoint where a vehicle belonging to his followers had been stopped. EPA/WAEL HAMZEH
Es ist eine ebenso stichhaltige wie trockene Analyse, die die in Beirut ansässige Nachrichtenseiteal-akhbarformulierte: „Wenn ein salafistischer Scheich in der libanesischen Stadt Sidon derartiges Blutvergießen verursachen kann, welche Probleme können dann fünf oder sechs Achmad al-Assirs in Beirut provozieren?“ Achmad al-Assir ist ein Prediger in der libanesischen Küstenstadt Sidon, ein Salafist und ein ausgesprochener Unterstützer von Gotteskriegern, die in Syrien für den Sturz von Präsident Baschar al-Assad kämpfen. In Sidon hatten sich seine Anhänger seit Wochenbeginn schwere Kämpfe mit der Armee geliefert – mit 58 Toten.

Der Pulverrauch hat sich gelegt. Al-Assir ist verschwunden. Und nach drei Tagen der Gewalt bleibt das ungute Gefühl, dass es nicht viel braucht, um den Libanon wieder in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Denn nicht nur in Sidon war gekämpft worden: auch in der nördlich von Beirut gelegenen Hafenstadt Tripoli und auch in Vororten von Beirut.

Es waren die schwersten Auseinandersetzungen im Libanon im Windschatten der Krise in Syrien. Und es war das erste Mal, dass die so um Überparteilichkeit ringende und als solche bisher auch respektierte libanesische Armee in Kämpfe solchen Ausmaßes hineingezogen wurde. Ein Umstand, der Ängste schürt. Denn die Fronten sind im Vielvölkerstaat Libanon vorgezeichnet: Sunniten gegen Alawiten und Schiiten, Liberale gegen Konservative, Christen gegen Sunniten. Drusen und Armenier zwischen den Fronten. Der syrische Bürgerkrieg bieten den Zündstoff dazu.

Denn in dem mischt der bewaffnete Arm der schiitischen Hisbollah auf Seiten der syrischen Armee mit. Präsident Michel Suleiman, ein Christ, rief die Hisbollah zuletzt auf, ihre Kämpfer aus Syrien abzuziehen. Er sei immer bereit, sich schützend vor die Hisbollah zu stellen, weil diese gegen den Feind Israel kämpfe, aber er wolle sie auch vor sich selbst schützen.

Nach innen versucht der politische Arm der Hisbollah zu kalmieren. Die für dieses Jahr anberaumten Wahlen wurden aber wegen der Spannungen auf nächstes Jahr verschoben. In der Regierung stellen die Hisbollah und die mit ihr verbündete schiitische Amal-Bewegung fünf Minister, während die sunnitischen Vertreter im Kabinett nicht dem radikalen Lager nahestehen. Dort sind Geistliche die Wortführer, die gegen Schiiten und Alawiten predigen. Die Armee muss sich nun von radikaler Sunniten den Vorwurf anhören, durch ihr Vorgehen gegen Assir Partei ergriffen zu haben.

„Wollen keinen Krieg“

„Es war immer so“, so eine in Beirut ansässige Journalistin, die nicht beim Namen genannt werden möchte, zum KURIER, „wenn etwas passiert sagen alle: das ist der Beginn des Krieges; aber die Libanesen wollen keinen Krieg; sie wissen zu gut, was das bedeutet.“ Aber gerade in den vergangenen Wochen war es vermehrt zu Zwischenfällen gekommen. Vor allem in Tripoli, Sidon und der Bekaa-Ebene.

Die Ereignisse von Sidon, so die Journalistin, seien ernst. Aber noch ernster sei, dass der Konflikt immer öfter in Beirut ausgetragen werde – wo in verarmten Vororten schiitische und sunnitische Milizen um Einfluss ringen und Geistliche im Sinne Assirs zum Heiligen Krieg rufen, während im Zentrum die, die damit nichts zu Tun haben wollen, Partys feiern.

Kommentare