Auf dem Weg zum Ein-Mann-System

Nächster Etappensieg für den türkischen Präsidenten Erdogan.
Das Parlament folgt Erdogans Wunsch und hebt die Immunität vieler Mandatare auf.

Wieder einmal hat Tayyip Erdogan über seine Gegner triumphiert. Das Votum des türkischen Parlaments für die Aufhebung der Abgeordneten-Immunitäten vom Freitag (insgesamt 138 von 550) soll die Strafverfolgung vor allem von Politikern der Kurdenpartei HDP freimachen, die dem Präsidenten ein Dorn im Auge sind. Das bedeutet einen weiterer Zwischenerfolg für den Staatschef bei der Errichtung eines Systems, bei dem nur er bestimmt.

Der 62-jährige Erdogan sieht sich als Verkörperung des Volkswillens und betrachtet Kritiker oder Zauderer innerhalb und außerhalb seiner AK-Partei als Widerstände, die aus dem Weg geräumt werden müssen. Die Anhänger des Präsidenten umgeben ihn mit einem ständig wachsenden Personenkult, während willfährige Richter und Staatsanwälte gegen unbequeme Journalisten vorgehen.

Willfährige Richter

Dabei werden mitunter Maßstäbe angelegt, die mit westlichen Mustern des Rechtsstaates kaum noch zu tun haben. Ein Gericht in der südtürkischen Stadt Adana verurteilte jetzt eine Reporterin, die Videoaufnahmen aus einem für Erdogan wichtigen Strafverfahren an die Öffentlichkeit brachte. Die Richter beließen es nicht bei einer Haftstrafe, sondern entzogen der Frau auch das Sorgerecht für ihre beiden Kinder.

Einer Umfrage zufolge haben zwei von drei Türken Angst vor Erdogan. Doch diese Furcht ändert nichts an dessen Beliebtheit bei konservativen Anatoliern. Viele Türken wollen einen starken Mann an der Spitze des Staates. Seit 2002 hat Erdogan fast jede Wahl gewonnen – auch bei der Präsidentenwahl 2014 erhielt er die absolute Mehrheit der Stimmen. Erdogan werde von den Massen nicht trotz, sondern gerade wegen seiner autokratischen Tendenzen bewundert, schrieb der Kolumnist Mustafa Akyol kürzlich in "Hürriyet Daily News".

Längst macht das Schlagwort vom "Tek Adam Rejimi" die Runde – das Ein-Mann-System unter Erdogan, dessen Konturen mit jedem Tag deutlicher werden. Als Erdogans AKP jetzt Verkehrsminister Binali Yildirim als Nachfolgekandidaten für den von Erdogan geschassten Premier Ahmet Davutoglu präsentierte, bejubelte die regierungstreue Zeitung Star dies als "ersten Schritt hin zum Präsidialsystem": Yildirim gilt deshalb als besonders geeignet für den Posten des AKP-Chefs und Ministerpräsidenten unter Erdogan, weil von ihm keinerlei Widerworte erwartet werden.

Erdogan wird noch mehr Entscheidungen an sich ziehen, während das Kabinett zur bloßen Ausführungsinstitution abgestuft wird. Justizminister Bozdag gab schon vor einigen Wochen zu Protokoll, Äußerungen des Präsidenten seien für ihn wie Befehle.

"Machttrunkenheit"

Wenn sich Erdogan mit seinen Vorstellungen von einem Präsidialsystem ohne starke verfassungsmäßige Gegengewichte zur Kontrolle der Macht des Staatschefs durchsetzt, steht nach Meinung von Kritikern der Marsch in ein Willkür-System bevor. Selbst alte Mitstreiter von Erdogan warnen vor einem zunehmend autokratischen Kurs des Präsidenten.

In der Türkei drohe ein "repressives Regime", sagt AKP-Mitgründer und Ex-Regierungssprecher Bülent Arinc, der Erdogan "Machttrunkenheit" vorwirft.

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