"Zeitenwende": Auch Deutschland liefert nun Waffen an Kiew

"Zeitenwende": Auch Deutschland liefert nun Waffen an Kiew
Monatelang hat die Bundesregierung Forderungen der Ukraine nach Waffenlieferungen für die Verteidigung gegen Russland abgeblockt.

Deutschland hat einen Kurswechsel in der Ukraine-Krise vollzogen und rüstet die Streitkräfte des von Russland attackierten Landes nun mit schweren Waffen aus. Zwei Tage nach Kriegsbeginn entschied die Bundesregierung am Samstag, 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Bundeswehrbeständen so schnell wie möglich in die Ukraine zu liefern. Außerdem wurde den Nato-Partnern Niederlande und Estland die Lieferung von Waffen an die Ukraine genehmigt, die aus deutscher Produktion oder DDR-Beständen stammen. Bisher hatte die Bundesregierung die Lieferung tödlicher Waffen in die Ukraine mit der Begründung abgelehnt, dass es sich um ein Krisengebiet handelt.

"Zeitwende"

„Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz. „In dieser Situation ist es unsere Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin. Deutschland steht eng an der Seite der Ukraine.“

Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck (beide Grüne) erklärten: „Nach dem schamlosen Angriff Russlands muss sich die Ukraine verteidigen können. Sie hat ein unabdingbares Recht auf Selbstverteidigung. Die Bundesregierung unterstützt daher die Ukraine auch bei der Ausstattung mit dringend benötigtem Material.“

Nach monatelangen Forderungen

Die Ukraine zeigte sich erfreut. "Weiter so, Bundeskanzler Olaf Scholz! Antikriegskoalition im Einsatz!", schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Twitter. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, sprach von einem historischen Schritt. "Wir sind froh, dass Deutschland endlich diese 180-Grad-Wende vollzogen hat", sagte Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. "Ich habe meinen deutschen Freunden und der Bundesregierung immer gesagt, dass sie die schrecklichen Bilder vom Krieg in der Ukraine nicht lange ertragen werden, ohne zu reagieren und umzusteuern."

Die Ukraine hatte monatelang Waffenlieferungen gefordert. Die Bundesregierung blockte sie unter Verweis auf die strengen deutschen Rüstungsexportrichtlinien und den Koalitionsvertrag ab. Nach den Richtlinien, die vor mehr als 20 Jahren unter der rot-grünen Bundesregierung entstanden, werden keine Waffen in Krisengebiete geliefert.

Es hat aber bereits Ausnahmen gegeben: So wurden den kurdischen Peschmerga-Kämpfern im Irak Waffen geliefert, um einen Völkermord der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) an den Jesiden zu verhindern. Auch an Israel werden aus historischer Verantwortung für die Sicherheit Israels wegen des Holocaust Waffen geliefert, obwohl es sich um ein Krisengebiet handelt.

Konkret werden nun folgende Waffen an die Ukraine geliefert:

- 500 Waffen vom Typ „Fliegerfaust 2 Stinger“ der Bundeswehr: Mit der 1,5 Meter langen Waffe können von der Schulter aus Ziele in der Luft in bis zu sechs Kilometern Entfernung abgeschossen werden.

- 1000 Waffen vom Typ „Panzerfaust 3“ der Bundeswehr: Mit der 13 Kilogramm schweren Waffe können Soldaten Ziele in 300 bis 400 Metern Entfernung treffen. Je nach Munition kann damit 70 Zentimeter dicker Panzerstahl oder 24 Zentimeter dicker Stahlbeton zum Beispiel in Bunkeranlagen durchschlagen werden.

- 400 Panzerfäuste aus den Niederlanden: Dem Nachbarland wurde die Lieferung von 400 weiteren Panzerfäusten vom Typ 3 aus deutscher Produktion genehmigt. Die Lieferung von 200 Stinger-Flugabwehrraketen ist ebenso geplant. Belgien liefert 2.000 Maschinengewehre.

- Neun Haubitzen aus Estland: Dem kleinen baltischen Land erlaubte die Bundesregierung den Export von neun Artilleriegeschützen aus DDR-Altbeständen. Die Haubitzen waren in den 90er Jahren von der Bundeswehr zuerst an Finnland geliefert und später an Estland weitergegeben worden. Dass Deutschland einem Export in die Ukraine zustimmen muss, ist in dem Vertrag zwischen Finnland und Estland geregelt. Es geht dabei um Waffen vom Modell D-30, die Mitte der 50er Jahre in der Sowjetunion entwickelt wurden. Die mehr als drei Tonnen schweren Haubitzen mit ihrem fast fünf Meter langen Kanonenrohr können eingesetzt werden, um feindliche Truppen oder Panzer auf eine Entfernung von bis zu etwa 15 Kilometern zu beschießen.

- Litauen legt nach: Auch aus dem baltischen EU- und NATO-Land Litauen erhielt die Ukraine weitere Militärhilfe. "Litauische Truppen beendeten ihre logistische Operation vor Mitternacht und lieferten Waffen, Munition, Helme und gepanzerte Westen", schrieb der litauische Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas am Sonntag auf Twitter. Litauen hatte zuvor bereits in den USA hergestellte Stinger-Flugabwehrraketen in die Ukraine geliefert.

- Fahrzeuge und Treibstoff: Zudem soll die Ukraine von Deutschland 14 gepanzerte Fahrzeuge für Personenschutz, gegebenenfalls auch zu Evakuierungszwecken erhalten. Außerdem sollen bis zu 10 000 Tonnen Treibstoff über Polen in die Ukraine geliefert werden.

Auch die Opposition unterstützte die Waffenlieferungen. „Jetzt, wo man deutlich erkennt, dass man mit der Diplomatie am Ende ist, muss man auch eine Bereitschaft haben, (...) diejenigen, die ganz offensichtlich von dieser Aggression massiv bedroht werden, und in ihrem Leben bedroht werden, die zu unterstützen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

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