Die Renaissance der Atomkraft – und warum sie in Europa nicht kommt

Die Renaissance der Atomkraft – und warum sie in Europa nicht kommt
Veraltet und teuer: Europas Politik bemüht die Atomkraft schon wieder als Wunderwaffe für die Energiewende – die Fakten sprechen dagegen

„Schluss damit!“ Zu lange sei Großbritannien im Würgegriff von Russlands Erdgas gewesen: „Von jetzt an sind die Baumeister und nicht die Blockierer am Wort.“ Der britische Premierminister Keir Starmer war am Donnerstag eigens in den chronisch vernachlässigten Nordwesten des Landes gereist, um dort Großes zu verkünden. Nicht eines, gleich eine Handvoll neuer Atomkraftwerke werde man ab sofort in Angriff nehmen. Eine eigenes Atom-Team werde unter seiner persönlichen Aufsicht die Planungen übernehmen, Gesetze, die diese Planungen bremsen könnten, würden aus dem Weg geräumt.

Starmer ist nicht alleine mit seinen Visionen vom neuen Atomkraft-Boom. Frankreichs Präsident Macron hat seinen Landsleuten kürzlich mehr als ein Dutzend neuer Atomkraftwerke in Aussicht gestellt, und selbst CDU-Chef Friedrich Merz, Favorit für das Kanzleramt in Berlin, bedauert öffentlich den von seiner Vorgängerin Angela Merkel absolvierten Atomausstieg.

Atomare Ernüchterung

Große Pläne, denen wenig Konkretes zugrundeliegt. Den ernüchternden Überblick zur Lage der Atomkraft weltweit liefert seit mehr als 30 Jahren der „World Nuclear Industry Status Report“. Darin fassen atomkraftkritische Wissenschafter und Experten Zahlen und Fakten zur Nuklearenergie zusammen. Die Ausgabe mit Stand 2024 ist gerade von der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD in Brüssel präsentiert worden. Gebaut werden in Europa derzeit gerade einmal zwei Reaktoren. Hinkley Point in Großbritannien verzeichnet nach sieben Jahren Bauzeit mindestens sechs Jahre Verzögerung und wird nicht vor 2030 fertig sein. Beim slowakischen Akw Mochovce sind die Verzögerungen nur noch in Jahrzehnten zu messen. Frankreich, das mit Abstand die größte Anzahl von Akw in Europa besitzt, hat seit dem Vorjahr tatsächlich ein neues Akw – das erste seit 25 Jahren. Die Kosten sind bei allen diesen Projekten um ein Vielfaches höher als geplant.

9Prozent
des globalen Stroms werden in Akw produziert, 1996 war es noch doppelt so viel

27Atomkraftwerke
werden derzeit in China gebaut, Russland baut weltweit 26. In den USA wird derzeit kein einziges Akw gebaut

10Jahre 
beträgt die reine Bauzeit eines Akw. Die Zeiten für Planung, Genehmigung sind da nicht eingerechnet

43Jahre
ist das Durchschnittsalter der Akw in den USA, Frankreich liegt mit 39 Jahren nur
knapp dahinter

Flop der Mini-Reaktoren

Europas Atommeiler sind durchschnittlich an die 40 Jahre alt. Denn nicht nur der Neubau, auch die Konstruktion neuartiger Atomkraftwerke lässt – entgegen allen Ankündigungen – auf sich warten. Die sogenannten SMR – also kleine, aus standardisierten Bauteilen zusammengesetzte Reaktoren – werden von Großbritannien, aber auch von den USA als Zukunftstechnologie angepriesen. Die in den USA laufenden SMR-Projekte sind kürzlich eingestellt worden. Die Kosten waren derart explodiert, dass das zuständige Unternehmen trotz staatlicher Förderungen aufgab. In Europa gibt es ebenfalls keinen einzigen funktionstüchtigen SMR-Reaktor – und es wird auch, laut Experten, vor 2030 keinen geben. In Russland laufen zwei Reaktoren dieser Art – wie gut, bleibt geheim. Bekannt ist nur, dass es auch hier über Jahre Probleme und Verzögerungen gab.

Doch wenn es um den tatsächlichen Bau von Akw – egal welcher Art – geht, sind Russland und China ohnehin allein auf weiter Flur. Die Hälfte aller seit 2005 neu gebauten Atomreaktoren steht in China, insgesamt 51. Fast der gesamte Rest wird von russischen Unternehmen in Ländern wie Indien oder Pakistan gebaut. Neue westliche Akw sind – auch in den USA – Einzelfälle, die meisten davon mit einer jahrelangen Chronologie von Verzögerungen und Kostenexplosionen.

Das aber macht die Energie, die aus diesen Akw kommt, zu teuer für den westlichen Energiemarkt. Längst haben erneuerbare Energien, allen voran die Solarenergie, die Atomkraft beim Preis abgehängt, selbst wenn man die für die Speicherung notwendigen Batterien einrechnet. „Atomenergie ist schlicht zu teuer“, resümiert Mycle Schneider, seit Jahren der Initiator des Berichtes, die Ergebnisse. Dazu komme die Rolle Russlands als einer der weltweit wichtigsten Lieferanten von Uran und daraus hergestellten spaltbaren Materialien. Die Vision von der Energie-Unabhängigkeit Europas durch neue Kernenergie sei also auch politisch heikler denn je.

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