„Ich würde nicht erwarten, dass heute eine Ankündigung über den Einsatz weitreichender Waffen innerhalb Russlands gemacht wird – ganz sicher nicht von den USA“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, als sich US-Präsident Joe Biden und der britische Premier Keir Starmer in Washington trafen. Während etwa 35.000 russische Soldaten – darunter auch kampferfahrene Verbände aus dem Donbass – eine Gegenoffensive in Kursk durchführen, wartet Kiew auf die Erlaubnis, mit weitreichenden, westlichen Waffen russisches Territorium beschießen zu dürfen. Das Warten dürfte andauern.
Russlands Präsident Wladimir Putin drohte im Vorfeld, eine Aufhebung der Reichweitenbeschränkungen bedeute einen Eintritt der NATO in den Krieg. Ihm zufolge würden Angriffe – etwa mit den Kurzstreckenraketen ATACMS (Reichweite: 300 Kilometer) – nur mithilfe von NATO-Satelliten und NATO-Personal funktionieren.
Kritik von Kriegsblog
Eine Ansage, die selbst der prorussische Kriegsblog „Militärbeobachter“ infrage stellt: „Ehrlich gesagt hindert nichts die ukrainischen Soldaten daran, Koordinaten für den Beschuss von Zielen mit Storm Shadow- oder ATACMS-Raketen auf der Krim und in den neuen Gebieten (völkerrechtswidrig besetzte Gebiete im Donbass, Anm.) einzugeben – dies erfordert keine direkte Beteiligung von NATO-Soldaten. Warum sie bei der Eingabe der Koordinaten der „alten Gebiete“ (russisches Territorium) erforderlich sein könnten, ist nicht klar“, wurde dort analysiert.
Die russische Führung versuche, die NATO damit im letzten Moment von der Entscheidung abzubringen. Würde die Erklärung „nur eine Erklärung bleiben, werden die westlichen Länder weiterhin alle Drohungen Russlands problemlos ignorieren“, führte der Blog weiter aus, forderte damit also „echte Konsequenzen“.
Gleichzeitig beschießt Russland die Ukraine seit Ende vergangenen Jahres mit nordkoreanischen KN-23-Raketen. Sollten zudem die Berichte zutreffen, wonach der Iran Russland ballistische Raketen geliefert habe, droht den ukrainischen Grenzgebieten ein stärkeres Bombardement als ohnehin schon.
Die angebliche Lieferung ist laut einigen Diplomaten und Beratern westlicher Regierungen der Hauptgrund dafür, dass Washington und London überlegen, die Beschränkungen für die Ukraine aufzuheben.
Effekt am Schlachtfeld
Auf dem Schlachtfeld würde das einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf Russlands Krieg in der Ukraine haben: Etwa 250 russische militärische Objekte würden sich in ATACMS-Reichweite befinden, darunter 17 Flugplätze, Stützpunkte, Logistikzentren oder Munitionslager. Es würde die Kosten für Russlands Angriffskrieg massiv steigern. Grundsätzlich hatte der britische Premier Starmer Bereitschaft dazu gezeigt, der Ukraine den Einsatz der Storm Shadows auf russisches Territorium zu gestatten. Diese verfügen über eine Reichweite von 250 Kilometern. Allerdings verfügen die Storm Shadows wie auch die französischen SCALP über US-Komponenten. Auch hier hat Biden ein Wort mitzureden.
„Symmetrie im Krieg“
Ihn beenden würde das nicht. Wie Walter Feichtinger, Leiter des Centers für strategische Analysen (CSA) im KURIER-Gastkommentar (lesen Sie mehr auf Seite 33) analysiert, würde die Aufhebung der Reichweitenbeschränkung aber zu einer „gewissen Symmetrie im Abnützungskrieg führen“, was wiederum zu einer höheren Bereitschaft für Friedensverhandlungen führen könne.
Noch höhere Kosten und den damit einhergehenden Verlust einer stärkeren Verhandlungsposition will der Kreml verhindern, weswegen die Drohkulisse eines nuklearen Einsatzes wieder hochgezogen wird.
Kanal nach Washington
Diese spricht der Kreml de facto regelmäßig seit Beginn der Invasion aus.
Als etwa im Herbst 2022 absehbar wurde, dass sich die russischen Streitkräfte aus der Stadt Cherson zurückziehen müssten, war plötzlich die Gefahr eines russischen Atomschlags in aller Munde.
Wenige Wochen später zogen 30.000 russische Soldaten aus der Stadt ab, verließen sie über die Brücke über den Dnipro. Der Fakt, dass die ukrainischen Streitkräfte diese Soldaten nicht angriffen, legt die Vermutung mehr als nahe, dass der Abzug zwischen Washington und Moskau gegen Garantien verhandelt wurde.
Ein direkter Draht zwischen Washington und Moskau ist also vorhanden. Und auch wenn der Kreml mit Konsequenzen droht, ist ein direkter nuklearer Schlag nach wie vor unwahrscheinlich.
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