Eine Million: Asylzahlen so hoch wie seit 2015 nicht mehr
Bis Jahresende dürften heuer wieder mehr als eine Million Menschen in der EU um Asyl ansuchen. Vor allem in Deutschland, Frankreich und Spanien steigen die Zahlen - anders als in Österreich
Tunesien hätte alles verändern sollen: Vor knapp zwei Monaten einigte sich die EU mit dem nordafrikanischen Land auf eine Absichtserklärung, wonach Tunesien als eine Art „Türsteher Europas“ fungieren sollte. Fast zwei Drittel aller Migranten, die in Italien landen, brechen derzeit von tunesischen Küsten auf. Das müsse aufhören, lautete das hoffnungsvolle Ziel des Deals, und Tunesien sollte für Grenzschutzmaßnahmen 200 Millionen Euro aus Brüssel erhalten.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Zahlen steigen wieder, allein in Italien kamen heuer bereits mehr als 100.000 Migranten und Flüchtlinge an. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Vergleichzeitraum des Vorjahres.
Auch von den libyschen Küsten aus beginnen mittlerweile wieder mehr Menschen in die überfüllten Boote zu steigen, um die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer nach Europa anzutreten.
Und dieser Trend werde voraussichtlich anhalten, erwartet auch die EU-Asylagentur EASO. Das aber würde bedeuten, dass es heuer in der EU erstmals seit der großen Flüchtlingskrise 2015/16 wieder mehr als eine Million Asylansuchen geben dürfte.
Schon zur Jahresmitte hatte die Agentur in ihrem jüngsten Bericht im Jahresvergleich eine Zunahme um 28 Prozent in der EU registriert. Das entspricht 519.000 Asylansuchen von Jänner bis Ende Juni. Die mit Abstand meisten Anträge wurden dabei in Deutschland gestellt – mehr als ein Drittel aller heuer registrierten Ansuchen.
„Wie machen das die Österreicher?“, fragen seither deutsche Medien. Denn während in Deutschland die Antragszahlen bis Ende Juni im Vergleich zum Jahr davor um 78 Prozent gestiegen sind, sanken die Asylantragszahlen heuer bis Ende Juni um 30 Prozent. Nur rund 22.990 Menschen stellten demnach hierzulande einen Antrag auf Asyl. Die Mehrheit der Asylsuchenden in Österreich waren heuer Syrer, gefolgt von Afghanen und Marokkanern.
Dass die Zahlen sanken, hat neben verstärkten Grenzschutzmaßnahmen vor allem mit einer Änderung der Visapraxis in Serbien zu tun. Bis vergangenen Herbst durften etwa Inder und Tunesier ohne Visum in Serbien einreisen, die sich wiederum auf der Balkanroute in Richtung EU aufmachten und in Österreich einen Antrag stellten.
Die Westbalkanroute
Auf Druck Brüssels, aber auch Österreichs und Ungarns stoppte Belgrad schließlich diese Visafreiheit – und die Migrationszahlen sanken sofort. Über die Westbalkanroute kamen heuer bis Ende Juli 52.232 illegale Migranten in der EU an. Das sind 26 Prozent weniger als im Jahresvergleich.
Doch nach dem jüngsten signifikanten Rückgang der Asylansuchen beginnen auch hierzulande die Zahlen wieder zu steigen.
Allein im Juli wurden nach Angaben des Innenministeriums rund 5.500 Schutzansuchen eingebracht. Und ehe die Temperaturen wieder sinken, werden sowohl auf dem Landweg als auch auf dem Mittelmeer wieder mehr illegale Ankünfte von Migranten erwartet.
EU-Asylreform
Die endgültige Einigung auf eine europäische Asylreform lässt jedenfalls noch weiter auf sich warten. EU-Parlament und EU-Innenminister verhandeln in den kommenden Monaten weiter. Noch vor der Europawahl im Juni 2024 soll sie aber fixiert sein.
Einig sind sich beide Seiten bereits über die Einführung viel schnellerer Asylverfahren und rascherer Entscheide schon an den EU-Außengrenzen. Und schon von dort aus sollen abgewiesene Asylwerber zurückgeführt werden.
Doch strittig ist nach wie vor: Wie werden jene Asylsuchenden auf die EU-Länder verteilt, die ein Anrecht auf ein Verfahren haben? Strafzahlungen für Länder, die nicht mitmachen, sind angedacht. Wer dies kategorisch ablehnt? Polen und Ungarn.
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