Schweiz beschränkt Zuwanderung aus EU

A Swiss customs officer stands by during a demonstration against cost reduction plans and possible job cuts, on the Swiss-Italian border, in Chiasso May 29, 2010. REUTERS/Fiorenzo Maffi (SWITZERLAND - Tags: EMPLOYMENT BUSINESS POLITICS)
Das Dorado für krisengeschüttelte Europäer ergreift Maßnahmen.

Die Schweiz schränkt die Zuwanderung aus allen EU-Staaten, darunter Österreich, ein: Mit der Aktivierung der sogenannten "Ventilklausel" im Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der Europäischen Union soll die Zuwanderung "wirtschafts- und gesellschaftsverträglich" gestaltet werden, teilte die Schweizer Regierung am Mittwochnachmittag in Bern mit. EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kritisierte die Entscheidung. Die Personenfreizügigkeit sei für die EU "von außerordentlicher Wichtigkeit", betonte sie in Brüssel.

Arbeitslose "fliehen" in die Schweiz

Wegen der Wirtschaftskrise nahmen jüngst vermehrt arbeitssuchende Europäer Kurs auf die Schweiz genommen, wo Vollbeschäftigung herrscht. In den vergangenen Jahren wanderten jährlich zwischen 60.000 und 80.000 Menschen mehr in die Schweiz ein als aus, was einem Bevölkerungswachstum von einem Prozent jährlich entspricht. Schon im Vorjahr hatte Bern daher die Personenfreizügigkeit für die acht mittelosteuropäischen Neumitglieder (EU-8) ausgesetzt. Nun soll die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen für alle 25 EU-Staaten (ohne Rumänien und Bulgarien, für die sich der Schweizer Arbeitsmarkt erst im Jahr 2019 öffnen wird) auf knapp 56.000 jährlich gedeckelt werden.

Das EU-Schweiz-Abkommen sieht die Möglichkeit einer Deckelung vor, wenn die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen in einem Jahr um zehn Prozent über dem Durchschnitt der vorangegangenen drei Jahre liegt. Die jetzige Maßnahme tritt mit Juni in Kraft und ist auf ein Jahr begrenzt. Für die EU-8 werde es 2.180 Aufenthaltsbewilligungen geben, für die anderen 17 EU-Staaten 53.700 Bewilligungen.

"Kein unfreundlicher Akt"

Die Entscheidung sei "kein unfreundlicher Akt gegenüber der EU", betonte die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga am Mittwochnachmittag in einer Pressekonferenz in Bern. Die Schweiz stehe weiterhin "voll und ganz hinter der Personenfreizügigkeit". Wegen der wachsenden sozialen Ungleichheiten in der Europäischen Union sei die Schweiz aber "ein Anziehungspunkt" geworden. Die Entscheidung sei ein "Signal", dass der Schweizer Arbeitsmarkt nicht unbegrenzt offen stehe, betonte die Sozialdemokratin.

EU-Spitzenpolitiker kritisierten die Entscheidung. EU-Außenbeauftragte Ashton verwies auf die "großen Vorteile", die die Personenfreizügigkeit EU-Bürgern und Schweizern brächte. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, äußerte "Zweifel an der Sinnhaftigkeit" der Maßnahme. Auch würden Zuwanderungszahlen sie "nicht unbedingt rechtfertigen". Der Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, warnte vor dem Eindruck, die Schweiz wolle sich beim EU-Binnenmarkt "nur die Rosinen herauspicken". "Mit der heutigen Entscheidung schadet die Schweiz sich selbst", sagte der ÖVP-Politiker.

Um die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union stand es schon bisher nicht zum Besten. Belastend wirkten sich der Streit um angebliches Steuerdumping und das Bankgeheimnis aus.

Umstrittene Klausel

Die Ventilklausel ist auch innerschweizerisch höchst umstritten. Während Freisinnige (FDP) und Christdemokraten (CVP) die Maßnahme schon seit längerem gefordert hatten, geht sie der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nicht weit genug. SVP-Chef Toni Brunner sprach von einem "halbherzigen Entscheid", da kurzzeitige Aufenthaltsbewilligungen bis zu einem Jahr unberücksichtigt blieben. Auch Unternehmer, Gewerkschaften und Linksparteien sehen in der Maßnahme keine Lösung des Zuwanderungsproblems. Der Chef der Sozialdemokraten (SP), Christian Levrat, bezeichnete die von seiner Parteifreundin Sommaruga vorgetragene Maßnahme als "Valium fürs Volk".

Nach Ansicht von Beobachtern wollen sich die Schweizer Mitteparteien mit der Maßnahme Luft gegenüber der rechtskonservativen SVP verschaffen, die seit Jahren vor einer Massenzuwanderung durch das Personenfreizügigkeitsabkommen warnt. Dieses kommt bald neuerlich auf den Prüfstand, da es infolge des für Juli geplanten EU-Beitritt Kroatiens angepasst werden muss. Die Aktivierung der Ventilklausel soll offenbar dazu dienen, eine Mehrheit beim Referendum über die Erweiterung des Abkommens um Kroatien zu sichern.

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