Anschlag in Istanbul: Türkische Zeitung beschuldigt Deutschland

Dienstagmorgen erschütterte erneut ein Anschlag die türkische Millionenstadt.
Angespanntes Verhältnis. Deutschland stecke hinter Terroranschlag in Istanbul, titelt AKP-nahes Blatt.

Einen "wichtigen Freund" könnte Deutschland verlieren, warnte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vergangenen Samstag. Deutschland und die Türkei. Zwischen den beiden Ländern kriselt es gewaltig. Einige Mosaiksteine des seit Monaten angespannten bilateralen Verhältnisses: die Böhmermann-Affäre, der Streit um die Aufhebung der Visa-Pflicht im Zuge des EU-Türkei-Deals und zuletzt die Armenien-Resolution im Bundestag (zu diesen Punkten unten mehr).

Nun der nächste Eklat.

Türkische Zeitung beschuldigt Deutschland

Am Dienstag ist die Altstadt Istanbuls, die sich für die festliche Ramadan-Zeit herausgeputzt hat, erneut zum Anschlagsziel geworden. Mitten im Berufsverkehr am Morgen detonierte eine Autobombe. Ziel des Anschlags war ein Bus, der Polizisten zum Dienst bringen soll. Die meisten der Toten sind Angehörige der Sicherheitskräfte, aber auch Zivilisten kommen ums Leben. Dutzende Menschen werden bei der Explosion der ferngezündeten Bombe verletzt.

Anschlag in Istanbul: Türkische Zeitung beschuldigt Deutschland
Police officers and rescuers inspect the site of a bomb attack that targeted a police bus in the Vezneciler district of Istanbul on June 7, 2016. A bomb attack targeted Turkish police in a central Istanbul district on June 7, 2016, leaving several people wounded, the state-run TRT television reported. / AFP PHOTO / DHA / Turkey OUT

Das deutsche Außenministerium hat den Opfern ihr Beileid ausgesprochen. Erst im Jänner, bei einem Anschlag im historischen Zentrum Istanbuls, wurden zwölf Deutsche getötet. Die Reisewarnung für die Türkei wurde aktualisiert.

https://twitter.com/AuswaertigesAmt/status/740096664023793665
Auswärtiges Amt (@AuswaertigesAmt

Vier Verdächtige wurden noch am Dienstag festgenommen. Wer hinter der Tat steckt, bleibt aber vorerst unklar. Die türkische Zeitung Günes, die der Regierung Erdogan nahe steht, hat aber schon einen Schuldigen gefunden: Deutschland.

Ismail Küpeli, Historiker und Politikwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum, hat das Titelbild der Zeitung gepostet: "Überschrift sinngemäß übersetzt wäre: "Made in Germany", wortwörtlich: "Deutsche Arbeit".

https://twitter.com/ismail_kupeli/status/740433412339716096
Ismail Küpeli (@ismail_kupeli

Die regierungsnahe Zeitung macht also Deutschland für den Autobombenanschlag verantwortlich. Deutschland habe die harte Reaktion der Türkei auf die "beschämende" Völkermordresolution des Deutschen Bundestages nicht ertragen.

Interessantes Detail: Das Europäische Parlament hatte bereits 1987 den Völkermord an den Armeniern anerkannt.

"In Panik geratend, ist es in alte Gewohnheiten zurückgefallen. Es hat die Terrororganisationen, die es als Marionette benutzt, einen blutigen Anschlag in Istanbul verüben lassen." Das Blatt beruft sich dabei auf Volkes Stimme: "So denkt die Türkei", schreibt Günes. Mit einer Auflage von gut 100.000 Exemplaren gehört "Günes" zu den zehn größten Zeitungen des Landes.

Am Mittwoch Vormittag explodierte erneut eine Autobombe in der Türkei (mehr zu den Anschlägen unten).

Angespanntes Verhältnis

Böhmermann-Affäre: Als der TV-Satiriker und Grimme-Preisträger Jan Böhmermann am 31. März 2016 die Verse über Erdogan vorlas, hat vermutlich niemand geahnt, wie hoch die Wellen kurz darauf schlagen würden. Es folgte eine Staatsaffäre, eine einstweilige Verfügung, ein drohender Prozess wegen Beleidigung und eine umfangreiche Debatte zur Frage, was Satire darf und was nicht. Angela Merkel bezeichnete ihre Äußerung, Böhmermanns Gedicht sei "bewusst verletzend", später als Fehler. Erdogan zeigt sich also nach außen humorlos - und innerhalb der Türkei greift er durch: Kürzlich wurden zwei kritische Journalisten der Zeitung Cumhuriyet zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Andere Medien wurden unter Zwangsverwaltung gestellt und auf Regierungskurs gezwungen. Erdogan meint dennoch, die türkischen Medien seien frei.

Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei stockt:Das Abkommen verpflichtet die Türkei, die nach Griechenland über die Ägäis kommenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug nimmt die EU direkt syrische Flüchtlinge aus der Türkei auf und zahlt in zwei Schritten bis zu sechs Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge. Weiter wird der Türkei Visafreiheit gewährt, wenn es alle Anforderungen der EU erfüllt. Merkel hatte jüngst nach einem Gespräch mit Erdogan deutlich gemacht, dass der angestrebte Termin für die Visumfreiheit zum 1. Juli nicht mehr haltbar ist. Hintergrund ist die Weigerung Erdogans, die Anti-Terror-Gesetze der Türkei zu reformieren. Das ist eine Voraussetzung der EU, um die Visumpflicht für Türken bei Reisen in den Schengen-Raum aufzuheben. Merkel hatte weitere Gespräche mit der Türkei angekündigt.
Armenien-Völkermord:Am Donnerstag vergangener Woche hatte der Deutsche Bundestag in Berlin das Massaker an Armeniern während des Ersten Weltkrieges durch das Osmanische Reich als Völkermord verurteilt. Armenien bedankte sich für die Resolution. Nach armenischer Darstellung wurden damals bis zu 1,5 Millionen Menschen getötet. Die Türkei spricht von deutlich weniger Toten und lehnt den Begriff Genozid vehement ab. Erdogan zeigt sich nach der Armenier-Resolution von Merkel enttäuscht: "Nun frage ich mich: Wie werden deutsche Spitzenpolitiker, nach einer solchen Entscheidung, mir und unserem Premier persönlich gegenübertreten können?" Er warnte, Deutschland könne einen "wichtigen Freund" verlieren und verwies ausdrücklich auf die Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Sanktionen gegen die Bundesrepublik wollte er ausdrücklich nicht ausschließen.
  • Mai 2016: Bei einem Autobombenanschlag auf das Militär werden fünf Soldaten und drei Zivilisten verletzt. Das Auto detoniert in der Nähe einer Kaserne, als ein Militärfahrzeug vorbeifuhr. Nach türkischen Medienberichten bekannte sich die kurdische PKK zu dem Anschlag.
  • März 2016: Ein Attentäter sprengt sich auf der zentralen Einkaufsstraße Istiklal in die Luft und reißt vier Menschen mit in den Tod, 39 weitere werden verletzt. Drei der Todesopfer sind Israelis, eines ist aus dem Iran. Laut türkischer Regierung hatte der Attentäter Verbindungen zur sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
  • Jänner 2016: Bei einem Anschlag im historischen Zentrum Istanbuls werden zwölf Deutsche getötet. Der Angreifer sprengt sich mitten in einer deutschen Reisegruppe in der Nähe der Hagia Sophia und der Blauen Moschee in die Luft. Der Attentäter gehörte nach Angaben der türkischen Regierung dem Islamischen Staat (IS) an.
    Särge der zwölf deutschen Terror-Opfer
    https://images.kurier.at/46-76752452.jpg/203.326.197
    APA/AFP/POOL/AXEL SCHMIDT
    GERMANY-TURKEY-ATTACKS
    Coffins with the remains of of ten German tourists killed in a suicide bomb attack at Istanbul's historic Sultanahmet district are laid out in a hangar at Berlin's Tegel Airport after they were repatriated on January 16, 2016. The suicide bomber set off the explosion near the group of German tourists just steps away from the landmark Blue Mosque, killing 10 of them. Authorities said the victims ranged in age from 51 to 73. / AFP / POOL / Axel Schmidt
  • August 2015: Bei einem Bombenanschlag und einem anschließenden Angriff auf eine Polizeiwache werden mindestens vier Menschen getötet. Eines der Todesopfer ist Polizist, die drei anderen sind die Attentäter. Laut türkischen Medien bekannte sich die PKK zu der Tat.

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