Anschläge überschatten Wahl in Afghanistan
In Afghanistan ging am Samstag die mit Spannung erwartete Präsidentenwahl über die Bühne. Die Bürger des Landes sollten einen Nachfolger für Staatschef Hamid Karzai, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, bestimmen. Die Wahllokale sind seit 14:30 Uhr (MESZ) geschlossen, ersten Informationen zufolge gab es eine hohe Wahlbeteiligung. Die Ergebnisse dürften erst in einigen Wochen vorliegen. Da wahrscheinlich kein Kandidat die absolute Mehrheit erhält, dürfte am 28. Mai eine Stichwahl notwendig werden.
Der Wahltag wurde von Anfang an von Anschlägen der radikal-islamischen Taliban überschattet. "Landesweit wurden Dutzende Aufständische durch afghanische Sicherheitskräfte getötet", sagte Vize-Innenminister Mohammad Ayub Salangi. Bei einer Bombenexplosion in der Nähe eines Wahllokals in der südlichen Kleinstadt Kalat wurden auch zwei Polizisten getötet und zwei weitere verletzt; in Badghis sei ein Wähler getötet worden, in der südöstlichen Provinz Logar wurden zudem vier Menschen teils schwer verletzt.
Erster Machtwechsel seit dem Krieg
Für Afghanistan ist es der erste demokratische Machtwechsel. Experten gehen davon aus, dass in der ersten Runde kein Kandidat eine Mehrheit von über 50 Prozent bekommt und damit eine Stichwahl am 28. Mai nötig wird. Das Endergebnis der ersten Runde soll am 7. Mai verkündet werden. Wegen der schwierigen Machtverhältnisse könnte es nach Einschätzung von Diplomaten aber bis Oktober dauern, ehe der neue Präsident sein Amt antritt. Als Favoriten gelten die früheren Minister Abdullah Abdullah, Ashraf Ghani und Salmai Rassul. Nach zwölf Jahren im Amt dürfte Karzai aber auch künftig noch großen Einfluss haben, weil viele Politiker loyal zu ihm sind.
Die Taliban hatten bereits im Vorfeld der Wahl versucht, die Abstimmung mit Anschlägen zu verhindern. Dies zeigt, wie prekär die Lage auch 13 Jahre nach dem Einmarsch der US-geführten Truppen und dem Sturz der Taliban noch ist. Am Freitag wurde bei einem Angriff im Osten des Landes eine renommierte deutsche Kriegsfotografin getötet.
350.000 Soldaten im Einsatz
Mehr als 350.000 Soldaten und Sicherheitskräfte sind im Einsatz, um Anschläge zu verhindern. Rund um die Hauptstadt Kabul gibt es Absperrungen und Verkehrskontrollen. Trotzdem wird wegen der schlechten Sicherheitslage voraussichtlich mindestens jedes zehnte Wahllokal geschlossen bleiben. Die meisten ausländischen Beobachter haben das Land verlassen.
Von den 30 Millionen Afghanen sind zwölf Millionen wahlberechtigt. Es sollen allerdings bis zu 18 Millionen Wahlscheine im Umlauf sein. Der Vorsitzende der Unabhängigen Wahlkommission, Yusaf Nuristani, rief seine Landsleute trotz der Gewalt zu einer regen Wahlbeteiligung auf. Das afghanische Volk solle den Feinden des Landes die Stirn bieten und mit der Wahl beweisen, dass nichts es aufhalten könne. Ähnlich äußerten sich viele Bürger. "Ich bin hier, um zu wählen und habe keine Angst vor Anschlägen", sagte Haji Ramasan aus Kabul. "Das ist mein Recht und niemand kann mich davon abhalten."
Keine SMS möglich
Die Telekommunikationsbehörde in Afghanistan hat unterdessen die SMS-Kurznachrichtendienste während der Präsidentenwahl abgestellt. Der Schritt sei am Samstag auf Bitte der Wahlbeschwerdekommission (ECC) unternommen worden, sagte der Chef der Regulierungsbehörde ATRA, Scherbas Wakil. Die ECC, die für die Untersuchung von Wahlbetrug zuständig ist, wies das allerdings zurück. "Wir haben nie eine solche Anforderung gestellt", sagte ECC-Chef Sattar Sadaat der Nachrichtenagentur dpa. Er kritisierte, dass das SMS-Verbot "einen transparenten Wahlprozess und Beobachtungsprozess verhindern könnte". Sadaat forderte ATRA auf, die SMS-Dienste wieder zu aktivieren.
Der neue Präsident des Landes steht vor gewaltigen Herausforderungen. Denn die Verhandlungen mit den Taliban über eine Einbindung in den Friedenprozess liegen seit längerem auf Eis. Außerdem blüht die Korruption. Der Drogenanbau ist auf dem Vormarsch. Wirtschaftlich kommt das Land nicht auf die Füße, Investoren halten sich dementsprechend zurück.
Offen ist, ob nach dem Jahreswechsel noch ausländische Truppen am Hindukusch sein werden, um die einheimischen Soldaten auszubilden und das Land zu stabilisieren. Der Kampfeinsatz der ISAF endet dieses Jahr. Ein Folgeauftrag für 8000 bis 12.000 internationale Soldaten zur weiteren Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte steht auf der Kippe, da Karzai bisher ein Stationierungsabkommen nicht unterschrieben hat.
Sie wollte die Gräuel von Krieg und Terror in Bildern festhalten, nun wurde sie selbst ermordet: Einen Tag vor der Präsidentenwahl in Afghanistan ist die preisgekrönte deutsche Foto-Reporterin Anja Niedringhaus in der östlichen Unruheprovinz Khost von einem Polizisten erschossen worden.
Die US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) bestätigte am Freitag den Tod ihrer langjährigen Mitarbeiterin. Die mit Niedringhaus reisende kanadische AP-Reporterin Kathy Gannon wurde demnach bei dem gezielten Beschuss verwundet.
Rache für Nato-Angriffe
Gannons Zustand sei stabil, teilte AP weiter mit. Ein anwesender freier Mitarbeiter von AP Television habe berichtet, beide Reporterinnen hätten in ihrem Wagen in einem Wahlkonvoi gesessen und auf die Abfahrt gewartet. Ein Polizist sei auf das Auto zugekommen und habe mit den Worten "Allahu Akbar" ("Gott ist groß") das Feuer auf die Journalistinnen auf dem Rücksitz eröffnet. Der Kommandant einer Polizeieinheit habe sich dann widerstandslos festnehmen lassen. Als Motiv habe er Rache für Nato-Luftangriffe auf sein Dorf in Afghanistan angegeben, sagte ein Sprecher der Polizei in der afghanischen Unruheprovinz Khost am Samstag.
Bilder von Anja Niedringhaus
Pulitzer-Preisträgerin
Niedringhaus (48) und Gannon (60) hatten jahrelange Erfahrung in der Region und anderen Konfliktgebieten. 2005 gewann Niedringhaus gemeinsam mit einem Team von AP-Fotografen den Pulitzer-Preis für ihre Berichterstattung im Irak. Auch Gannon bekam für ihre Arbeit zahlreiche Preise.
Die Taliban - die Angriffe auf die Wahlen angekündigt hatten - wiesen jede Verantwortung für den Mord zurück. Auch die deutsche Regierung schaltete sich in den Fall ein. Die deutsche Botschaft in Kabul sei "mit Nachdruck um Aufklärung bemüht", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Die beiden Reporterinnen waren zur Berichterstattung über die afghanische Präsidentenwahl an diesem Samstag nach Khost (Chost) gereist. Der von afghanischer Armee und Polizei gesicherte Konvoi, in dem sie unterwegs waren, lieferte laut AP Wahlzettel an Wahllokale aus.
Präsident Karzai kondolierte
Der afghanische Präsident Hamid Karzai kondolierte der Familie von Niedringhaus. Die Vereinten Nationen verurteilten den "Terrorangriff auf Zivilisten" scharf. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich ebenfalls betroffen. "Mit dem Tod von Anja Niedringhaus hat die Welt eine bedeutende 'Augen-Zeugin' verloren", sagte Gauck laut im Voraus verbreitetem Text am Freitagabend bei der 50. Verleihung des Grimme-Preises in Marl. Journalisten in Kriegs- und Krisenregionen berichteten von Not, Elend und Gewalt. "Ohne ihre Arbeit, ihren Mut und ihr Engagement wäre unser Bild von der Welt unvollständig."
Der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel, Steffen Seibert, erklärte: "Die Nachricht vom Tod der wunderbaren Fotografin Anja Niedringhaus ist erschütternd. Die Bundesregierung trauert mit ihrer Familie."
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sowie die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) reagierten ebenfalls bestürzt. ROG-Geschäftsführer Christian Mihr forderte für Reporter Schutz von der afghanischen Regierung. DJV-Chef Michael Konken erklärte: "Wer Journalisten tötet, löscht Leben aus und versetzt der Pressefreiheit einen schweren Schlag. Das darf nicht ungesühnt bleiben."
"Tod erfüllt uns mit Entsetzen"
Auch bei der Deutschen Presse-Agentur dpa wurde Anja Niedringhaus als Kollegin geschätzt. "Wir haben sie als überaus engagierte Journalistin erlebt, ihr Tod erfüllt uns mit Entsetzen", hieß es in einer Stellungnahme.
Im vergangenen Monat war ein schwedischer Reporter in der Hauptstadt Kabul auf offener Straße erschossen worden. Kurz danach war unter den Opfern eines Taliban-Angriffs auf das Serena-Hotel in Kabul ein afghanischer Reporter der französischen Nachrichtenagentur AFP, auch ein Großteil seiner Familie wurde getötet. Die Sicherheitslage in Afghanistan vor der Wahl ist extrem angespannt.
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