Ankara: Zwei Bomben gegen den Frieden

Opfer in Ankara
Selbstmordattentäter reißen fast 100 Menschen mit in den Tod.

Junge Leute halten sich an den Händen und tanzen. Die Sonne scheint, die türkische Hauptstadt Ankara bereitet sich an diesem warmen Samstagvormittag auf eine Großdemonstration mehrerer Gewerkschaften, Oppositionsparteien und Kurdengruppen vor, bei der ein Ende der Kämpfe zwischen dem türkischen Staat und den PKK-Kurdenrebellen gefordert werden soll. Die Stimmung vor dem Bahnhof von Ankara ist heiter. Doch plötzlich schießt ein paar Meter hinter den tanzenden Menschen eine gewaltige Feuersäule in die Luft, dem Knall der Explosion folgt nach wenigen Sekunden ein zweiter.

Mitten in der Menschenmenge sind zwei Sprengladungen explodiert; mindestens 97 Menschen sterben, fast 190 werden verletzt. Es ist der schlimmste Terroranschlag der türkischen Geschichte. Die Bomben der mutmaßlichen Selbstmordattentäter waren offenbar mit Metallkugeln versehen, um möglichst viele Menschen zu töten.

Der Journalist Faruk Bildirici von der Zeitung Hürriyet unterhält sich vor dem Bahnhof mit einigen Kollegen und wirft sich bei der Explosion zu Boden. "Als wir wieder auf die Beine kamen, sahen wir Leichenteile, die bis zum Bahnhofsgebäude geschleudert worden waren", berichtet er später. "Abgetrennte Arme und Beine lagen auf der Straße, Menschen schrien."

Minister werden verjagt

So endete die Demonstration der Regierungsgegner, noch bevor sie begonnen hat. Im Chaos nach der Doppelexplosion greifen einige Demonstranten einen Polizeiwagen an, weil sie annehmen, dass der Staat seine Hände im Spiel hat. Einige Minister, die den Tatort besuchen wollen, werden von einer wütenden Menge verjagt. Selahattin Demirtas, der Chef der Kurdenpartei HDP, spricht von einem "Massaker". Die Bomben von Ankara wurden an jener Stelle des Aufmarschplatzes für die Demonstration gezündet, an der sich die HDP-Abordnung versammeln sollte.

Das Blutbad gleicht damit dem Anschlag von Suruc vom 20. Juli, bei dem ein türkischer Selbstmordattentäter der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ebenfalls mehr als 30 linksgerichtete und kurdische Aktivisten tötete. Auch damals gaben kurdische Politiker und die PKK dem Staat Mitschuld. Die PKK nahm den Anschlag von Suruc zum Anlass, mit neuen Gewaltaktionen gegen die Sicherheitskräfte zu beginnen, die Regierung antwortete mit Luftangriffen auf PKK-Stellungen. Seitdem gab es im Kurdengebiet Hunderte Tote.

Nun hatte die PKK eine neue Waffenruhe angekündigt, um die Chancen der HDP bei der Parlamentswahl am 1. November zu steigern. Beobachter spekulieren deshalb nach der Katastrophe von Ankara, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gewalttat und der PKK-Entscheidung gab. Die Täter "wollten den Waffenstillstand verhindern", schreibt der angesehene Journalist Kadri Gürsel auf Twitter. Wenn das stimmt, ging der Plan nicht auf: Kurz nach den Explosionen erklärt die PKK, sie werde bis auf Weiteres das Feuer einstellen und die Wahl nicht behindern.

Heftig diskutiert wird die Frage, welche Organisation Interesse und Möglichkeiten hat, mit Selbstmordanschlägen ein Ende der Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und der PKK zu verhindern. Einige Regierungskritiker verweisen auf dunkle Kräfte im Staatsapparat. Der Parlamentsabgeordnete Lütfü Türkkan von der rechtsnationalen Partei MHP kommentiert, der Anschlag von Ankara sei entweder eine Panne des Geheimdienstes – oder ein Werk desselben. In den verbleibenden drei Wochen bis zur Wahl am 1. November dürften sich die Spannungen in der Türkei jetzt noch weiter aufheizen.

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