Revolution in Blassorange

Revolution in Blassorange
Die Proteste in Kiew lassen die Revolution von 2004 wieder aufleben – mit in die Jahre gekommenen Akteuren.

Auf russisch heißt die Ukraine „Land am Rande“ – und das ist genau die Krux: Sowohl am Rande Russlands als auch an der Außengrenze der EU gelegen, ist der Staat derzeit Akteur und Spielball zweier diametral entgegengesetzter Interessen. Brüssel und der Kreml kämpfen derzeit um das Land; darum, wer sich den größeren politischen Einfluss sichern kann.

Die Reaktion auf die andauernde Zerreißprobe ist ein Aufstand inmitten Kiews – am Unabhängigkeitsplatz Majdan und am Prachtboulevard Kreschtschaktik, den beiden zentralen Punkten der ukrainischen Hauptstadt, versammeln sich wieder die Massen. Das mutet an wie vor neun Jahren: 2004, im Jahr der orangen Hoffnung, erhoben sich die Bürger der einstigen Kornkammer der Sowjetunion erstmals gegen das Establishment.

Die Allmacht im Osten

Auslöser war damals ein manipulierter Wahlgang. Die Präsidentschaftswahl nach der Ära Kutschma war ein erster zarter Versuch, sich von den Banden der russischen Allmacht zu lösen: Kutschma, einst selbst Mitglied des Zentralkomitees, regierte die Ukraine seit 1994 als Präsident mit eiserner Hand und starker Bindung an den großen Bruder im Osten. Nach zwei Amtszeiten durfte er nicht mehr antreten, schickte aber seinen Statthalter Viktor Janukowitsch ins Rennen.

Janukowitsch als Agent des Ostens trat in der Stichwahl gegen Viktor Juschtschenko, das Gesicht der Opposition, an. Dieser, unterstützt durch den derzeitigen Außenminister und damaligen Präsidentschaftskandidaten John Kerry, flankiert von den Box-Größen Vitali und Vladimir Klitschko, trug Orange als Parteifarbe – und entfachte damit die Revolution.

Wenn Tinte am Wahlzettel verschwindet

Das Ergebnis widersprach nämlich deutlich allen Prognosen. Janukowitsch wurde mit 49,46 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt. Sowohl EU als auch OSZE erkannten die Wahl nicht an, da teils von haarsträubenden Manipulationen – wie etwa verschwindender Tinte – berichtet wurde. Einzig Moskau gratulierte seinem Statthalter in Kiew.

Die Wut darüber entlud sich in einer Tage andauernden Besetzung der Kiewer Innenstadt: Ein Meer aus orangen Flaggen überzog damals die ganze Stadt, etwa 250.000 Juschtschenko-Anhänger besetzten das Zentrum. Ihr Protest zeitigte Erfolge: Die Wahl musste wiederholt werden, Juschtschenko ging als Sieger daraus hervor.

In der politischen Realität angekommen

Die Akteure waren damals wie heute dieselben. Mit einem Unterschied: Damals konnte sich die Opposition als noch als Bringerin der Demokratie gerieren – bei der Angelobung Juschtschenkos waren Abgesandte wie Colin Powell, Benita Ferrero-Waldner oder Wolfgang Thierse dabei; Hillary Clinton schlug Juschtschenko, der seinen Aufstieg zum Präsidenten beinahe mit dem Leben bezahlte und die Narben seiner Vergiftung noch heute im Gesicht trägt, gar als Friedensnobelpreis-Laureat vor.

Eingelöst hat die Opposition viele ihrer Versprechen nicht. Das einst orange Land verfärbte sich immer mehr, die geeinte Kraft von „Unsere Ukraine“ zerbrach langsam an der politischen Realität. Juschtschenko und seine Ministerpräsidentin Timoschenko, bereits damals mit ihrem stilgebenden Haarkranz zur Ikone aufgestiegen, zerstritten sich öffentlich, verloren dabei ihren Status der Unangreifbaren. Die Abwahl Juschtschenkos folgte im Jahr 2010 – und die war bitter: Nur 5,45 Prozent stimmten für den einstigen Heilsbringer, sein Amt übernahm der von ihm geschasste Viktor Janukowitsch.

Die selbe Wahl

Heute ist die ukrainische Opposition nicht mehr Fackelträgerin der Demokratie, sondern in der politischen Realität angekommene Proteststimme. Sie wirft dem amtierenden Präsidenten seine Vergehen vor und fordert, was sich ein Großteil der Ukrainer wünscht: mehr Lebensqualität durch eine Annäherung an den prosperierenden Westen.

Doch damals wie heute geht es um dieselbe Richtungsentscheidung - um die Frage, ob das „Land am Rande“ in Richtung Westen oder zu seinem einstigen Bündnispartner Russlands tendiert. Das Thema ist dasselbe, nur die Stimmung eine andere – schließlich sind die Akteure auch schon in die Jahre gekommen. Dass die einstige Oppositions-Ikone Timoschenko dafür im Gefängnis darbt, kann dabei gerne als symbolisch gewertet werden.

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