Analyse: Missbrauchs-Gipfel ging Laien nicht weit genug
Als einen „Test“, um zu prüfen, ob die katholische Kirche noch glaubwürdig ist und ihren Anhängern einen Garantie geben kann, künftig Kinder und Jugendliche vor Missbrauch zu schützen, bezeichnet Vatikanexpertin Franca Giansoldati die Kinderschutz-Konferenz, die heute Sonntag in Rom zu Ende geht.
Das Interesse war riesig. Es herrschte ein fast so großer Medienandrang wie bei der Papstwahl. “Es gab noch nie so ein breit angelegtes Treffen zum Thema, es war wie ein ´kleines vatikanisches Konzil´“, erklärt Giansoldati.
Die Bischöfe betrachten das Gipfeltreffen als "Wendepunkt" im Einsatz der Kirche gegen Kindermissbrauch. Die Betroffenheit vieler Kardinäle angesichts der erschütternden Berichte von Missbrauchsopfern, die per Videos zugespielt wurden, war groß. Der US-Erzbischof Cupich, der zum Organisationskomitee gehört, entschuldigte sich für die "Blindheit" der Kirche vor dem Ausmaß und den Schäden von Kindesmissbrauch durch Geistliche. Papst Franziskus legte einen verpflichtenden 21-Punkte umfassenden Regelkatalog vor, um im Zukunft Kindesmissbrauch durch Geistliche zu verhindern und rasch zur Anzeige zu bringen. Dabei sollen sich die Bischöfe an die lokale Justiz des jeweiligen Landes wenden. Ziel des Papstes ist es, den lange vertuschten sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche künftig zu verhindern und die Bischöfe auf der ganzen Welt für das Problem zu sensibilisieren.
Auch wenn Bereitschaft zur Veränderung signalisiert wurde und Schritte zur Verbesserung und Prävention gemacht wurden: Die Enttäuschung auf Seiten der Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche bleibt. Sie protestierten unweit des Vatikans. Sie fordern von Papst Franziskus konkrete Ergebnisse. Dazu zählt ein klares Statement, dass Bischöfe für das Verhalten ihrer Priester verantwortlich sind und bestraft werden, sollten sie etwas vertuschen.
Dringend notwendig, aber in vier Tagen nicht zu realisieren wäre eine neue Organisationskultur, bei der die Opfer, die meist Laien sind, tatsächlich in den Mittelpunkt der kirchlichen Interessen gestellt werden. Das käme gemessen an Vatikan-Standars einer Revolution gleich.
Vertuscher berieten mit
Genau das aber fordern Kritiker des Kongresses. Die indische Aktivistin Virginia Saldanha ist etwa empört, dass Kardinal Oswald Gracias bei der Konferenz eine zentrale Rolle gespielt hat. Dem indischen Kirchenmann wird vorgeworfen bei Missbrauchsfällen viel zu lange gewartet zu haben, ehe er diese der Polizei meldete. Saldanha erklärt, dass drei rechtliche Schreiben an den Kardinal gesandt wurden, in denen ein Gerichtsverfahren angedroht wurde, bevor der Kardinal Missbrauchsfälle zur Anzeige brachte.
Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" hält die Vorschläge von Papst Franziskus zum Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern für unzureichend. Die genannten 21 Punkte könnten nur erste Schritte sein, um weltweit verbindliche Standards für Prävention und den Umgang mit Verdachtsfällen festzulegen. Generell sei eine fundamentale Neuausrichtung der Kirche nötig. Dazu gehörten die Abschaffung des Pflichtzölibats, die Weihe von Frauen, eine andere Sexualmoral und eine echte Gewaltenteilung in der römisch-katholischen Kirche.
Doch die Abschaffung des Zölibats als Präventionsmaßnahme war kein Thema. "Man wird über die Lebensform der Priester sprechen, aber ich glaube nicht, dass das der einzige Punkt ist, an dem der Missbrauch überwunden wird", sagte der deutsche Kardinal Reinhard Marx. Papst Franziskus gilt als ein erklärter Befürworter des Zölibats.
„Wir sind Kirche“-Reformer fordern angesichts der aktuellen existenziellen Krise eine fundamentale Neuausrichtung der katholischen Kirche: "Der jahrzehntelange massive spirituelle wie sexuelle Missbrauch an Kindern, Jugendlichen, Seminaristen, Frauen und Ordensfrauen und deren systematische Vertuschung sind kein Teilproblem, das isoliert gelöst werden kann, sondern ergeben sich aus der gegenwärtigen hierarchischen Grundstruktur der römisch-katholischen Kirche."
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