Hamsterkäufe in der Ungewissheit

Barrikaden sind in Donezk ebenso alltäglich wie bewaffnete Männer. Viele Bewohner beachteten den Ausnahmezustand in den Tagen vor dem Referendum gar nicht mehr
Lage vor dem Referendum in Donezk: Konserven-Regale und Bankomaten sind leer – die Straßen am Abend auch.

Alles ruhig, alles friedlich, kein Problem" – in einem Park im Zentrum von Donezk (Ukraine) haben sich zwei Burschen niedergelassen. Beim Kiosk haben sie sich mit Bier eingedeckt, sie rauchen, quatschen, erzählen einander Scherze vom Abend zuvor. Es war ein langer.

Referendum

Hamsterkäufe in der Ungewissheit
Es ist ein freier Tag und das normale Leben geht seinen Lauf. Man spaziert, trifft sich, bestaunt den Frühling – wären da nicht die Barrikaden um die Verwaltungsgebäude der Stadt, wären da nicht die Jungs in ihren Tarnanzügen und dem Wachhundblick, die verbarrikadierten Geschäfte. Und vor allem: Wären da nicht die Berichte aus Orten und Städten in der nahen Umgebung, von Schießereien und Überfällen und Kämpfen. Und wäre da nicht zuletzt das Referendum der Separatisten, bei dem die Ostukrainer heute, Sonntag, über ihre Abspaltung von Kiew abstimmen sollen.

"Es ist schon geisterhaft", sagt ein Student. "Der kollektive Wahnsinn ist über uns hereingebrochen." Was er meint, sind eben die Jungs mit dem scharfen Blick, die vielen Barrikaden, die Schießereien.

Hochspannung vor dem Referendum:

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Abends ausgestorben

Donezk war nie eine brodelnde Metropole. Donezk ist eine Bergbaustadt. Vom Zentrum, das auf einem sanften Hügel liegt, kann man die Aushubhalden der Gruben sehen, die zum Teil mitten in der Stadt liegen. Aber dieser Tage ist Donezk ausgestorbener als sonst, wenn die Sonne untergegangen ist. Geschäfte schließen früher, einige haben überhaupt zu und ihre Auslagen verbarrikadiert, und Autosalons in einem Vorort haben alle Wägen weggeschafft, nachdem eines der Geschäfte vor kurzem ausgeräumt wurde.

"Viel zu viele Menschen rennen mit viel zu vielen Waffen herum" – und viel zu viele Menschen, die damit nicht umgehen könnten, hätten derzeit viel zu viel Macht, meint eine junge Frau. Das wirke sich aus. Sie selbst schaue, dass sie bei Dunkelheit zumindest nicht alleine draußen sei. Denn auf die Polizei sei keinerlei Verlass mehr. Sobald es Probleme gebe, würden sich die Beamten zurückziehen, um noch mehr Probleme zu vermeiden – oder würden zumindest keinen Finger rühren, um einem zu helfen.

Auf die Frage, wer denn das Sagen habe in der Stadt und der Region, zuckt ein Straßenpolizist nur mit den Schultern, grinst verlegen und wendet sich ab.

In einem Laden im Zentrum steht Marta, eine gut genährte junge Dame mit prächtigem Lächeln, das noch breiter wird auf die Frage, warum denn die Konserven-Regale so schütter bestückt seien. Sie hat eine einfache Antwort: "Weil die Leute kaufen wie verrückt – vor allem Konserven." Es gebe zwar noch keinen Mangel, aber die Menschen lagerten ein und der Vertrieb komme anscheinend mit dem Nachschub nicht mehr nach. Ein Kaufverhalten, dass die Meinung vieler bestätigt, dass die Krise im Osten des Landes noch lange nicht ausgestanden ist.

Gehamstert wird auch, was Geld angeht. Bankomaten funktionieren selten – entweder aus technischen Gründen oder weil sie leer sind. Manche sagen, sie würden nach neuerlicher Befüllung gleich leer geräumt, andere sagen, sie würden gar nicht mehr befüllt. Ein danach befragter Geldbote wollte dazu aber keinen Kommentar abgeben und an einem Bankschalter wurde diese Problematik nur mit einem freundlichen Lächeln und einem gepressten "Leider" kommentiert.

Währung stürzt ab

Es ist aber vor allem der Verfall der Landeswährung Griwna, der den Menschen zu schaffen macht. Gegenüber dem Euro war er in den vergangenen Monaten zum Teil zu einhundert Prozent gefallen. Derzeit sind es rund 50 Prozent gegenüber einem über Jahre geltenden Kursverhältnis. Jene, die ihre Bezahlung in Dollar oder Euro erhalten, freut das – und das ist bei vielen Unternehmen der Fall (vor allem was den Dollar betrifft). Aber für die Mehrheit, die in Griwna bezahlt wird, kommt das einer Katastrophe gleich. Vor allem weil der Donbass eine Region mit einer hohen Arbeitslosigkeit und niedrigen Durchschnittsgehältern ist. Lebensmittel- und Treibstoffpreise steigen, Gehälter sinken.

"Heute leben wir von einem Tag auf den anderen, die einzigen Planungen die ich anstelle, sind die, um von hier wegzugehen", sagt der Student. Donezk, das sei derzeit kein Ort, an dem man es lange aushalte.

Unmittelbar vor dem umstrittenen Separatisten-Referendum im Osten der Ukraine stürzen neue Kämpfe das Land tiefer in die Krise. In den Regionen Donezk und Lugansk ist den Behörden die Kontrolle trotz einer "Anti-Terror-Operation" der Armee weitgehend entglitten. Prorussische Separatisten riefen dort zwei "Volksrepubliken" aus.

Mehr als drei Millionen Menschen in diesen beiden russisch geprägten Gebieten sollen am Sonntag entscheiden, ob sie eine Abspaltung vom Rest des Landes unterstützen. Gestellt wird die Frage nach einer staatlichen Eigenständigkeit der Region. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande bezeichneten die Abstimmung als "illegal".

Zudem forderten die beiden eine "sichtbare" Verringerung der militärischen Präsenz Russlands an der Grenze zur Ukraine und einen "nationalen Dialog" zwischen den Konfliktparteien. Deutschland und Frankreich verknüpfen die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland mit der ukrainischen Präsidentschaftswahl. "Sollten die Wahlen in der Ukraine am 25. Mai scheitern, dann wären wir zu weiteren Sanktionen gegen Russland bereit", sagte Merkel am Samstag nach Gesprächen mit Hollande in Stralsund.

In einer gemeinsamen Erklärung halten beide fest: "Fänden keine international anerkannten Präsidentschaftswahlen statt, würde dies das Land unausweichlich weiter destabilisieren. Deutschland und Frankreich stimmen darin überein, dass in diesem Fall die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen sind, wie sie der Europäische Rat am 6. März 2014 vorgesehen hat."

Blutige Zusammenstöße

Ein Tag vor dem Referendum heizen die blutigen Zusammenstöße mit mehreren Toten die weiter auf. Nach Angaben der Behörden starben am Freitag bei Gefechten in Mariupol mindestens sieben Menschen, knapp 50 wurden verletzt. Ursprünglich waren mindestens 20 Tote gemeldet worden.

Auch aus Donezk gab es Berichte über ein Gefecht, bei dem mehrere Menschen verletzt worden seien. Medienberichten zufolge nahmen Separatisten dort zudem sieben Mitarbeiter des Roten Kreuzes als Geiseln, darunter einen Franzosen. Die Männer wurden in das Hauptquartier der "Republik Donezk" im Rathaus gebracht. Alle Frauen, die zum Zeitpunkt des Überfalls im Rotkreuz-Büro waren, wurden freigelassen. Am Abend wurden auch Schießereien aus Slawjansk gemeldet.

Referendum: Ergebnis am Montag

Die Wahllokale haben am Sonntag von 07.00 bis 21.00 Uhr MESZ geöffnet. Danach soll in 53 Zählstationen in den von Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Luhansk (Lugansk) die Auszählung beginnen. Die Wahlurnen werden per Auto in die beiden Bezirkshauptstädte gebracht. Dabei müssen sie aber zahlreiche Kontrollstellen passieren, die sowohl von den prorussischen Separatisten als auch von den ukrainischen Sicherheitskräften errichtet wurden. An diesen neuralgischen Punkten könnte es zu Problemen, im schlimmsten Fall zu Auseinandersetzungen kommen. Geplant ist jedenfalls, dass am Montag gegen 14.00 Uhr ein Ergebnis verkündet wird.

Bei der Abtrennung von Teilgebieten eines Staates sollen oft Volksabstimmungen die Souveränität legitimieren. Doch ob sie anerkannt werden, hängt von den juristischen und realpolitischen Umständen ab. Beispiele für Referenden in Europa:


MONTENEGRO: Die frühere jugoslawische Teilrepublik erklärte 2006 die Trennung vom Staatenbund mit Serbien. In einem Referendum entschieden sich 55,5 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit. Wahlbeobachter von der OSZE und dem Europarat lobten den Verlauf der Abstimmung, internationale demokratische Standards seien eingehalten worden. Schnell wurde Montenegro weltweit völkerrechtlich anerkannt.

SÜDOSSETIEN: Die Kaukasusregion trennte sich 1990 in einem Bürgerkrieg faktisch von Georgien. Bei einer international nicht anerkannten Abstimmung in dem Gebiet stimmten 2006 mehr als 90 Prozent für die Unabhängigkeit von Tiflis. Russland sieht sich als Schutzmacht Südossetiens und führte 2008 Krieg mit Georgien zur Absicherung der neuen Grenze. Die USA, die NATO und die EU betrachten Südossetien weiterhin als Teil Georgiens.

KRIM: Nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und der Bildung einer prowestlichen Übergangsregierung in Kiew beraumten prorussische Kräfte im Eiltempo ein Referendum auf der Schwarzmeer-Halbinsel an. Am 16. März 2014 sprachen sich etwa 97 Prozent in der international nicht anerkannten Abstimmung für den Anschluss an Russland aus. Die Regierung in Kiew sowie die EU und die USA kritisieren den Schritt, weil es sowohl gegen die Verfassung der Ukraine als auch gegen die Verfassung der Region Krim verstoße. Zudem entsprächen die Umstände der Abstimmung nicht den demokratischen Standards. Moskau wies die Kritik zurück. Das Referendum auf der Krim sei frei und legal gewesen.

SCHOTTLAND: 2012 unterzeichneten der britische Premier David Cameron und der schottische Ministerpräsident Alex Salmond ein Abkommen, das der Regionalregierung die Befugnis zu einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit gibt. Am 18. September 2014 stimmt Schottland über seine Souveränität ab. Salmond legte detaillierte Pläne für eine eigenständige Nation ab März 2016 vor. Cameron rief alle Briten zur Einheit auf.

KATALONIEN: Das Regionalparlament hat im Jänner 2014 einen Antrag auf ein Unabhängigkeitsreferendum gestellt. Die Volksbefragung in der spanischen Region soll am 9. November stattfinden. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy kritisierte den Abspaltungsplan scharf. Nach der spanischen Verfassung dürfe nur der Zentralstaat über ein Referendum entscheiden, eine einseitige Unabhängigkeitserklärung wäre ein Bruch der Verfassung.

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