"Alle sollten Nein zur Hetze sagen!"

"Alle sollten Nein zur Hetze sagen!"
KURIER-Interview: Kanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger über die Lehren aus dem Terror in Oslo.

Drei Tage nach dem Massaker in Oslo gaben Kanzler und Vizekanzler Montagnachmittag dem KURIER eines ihrer seltenen Doppel-Interviews.

KURIER: Die ganze Welt steht wegen des Massenmords in Norwegen unter Schock. Herr Bundeskanzler, waren Sie je auf der Insel Utøya?
Werner Faymann:
Ich war bei vielen anderen Zusammenkünften der Sozialistischen Jugend, aber dort war ich nie. Es ist so unvorstellbar, so grauenvoll, dass man nur sagen kann: Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst in allen Ländern dieser Welt der Hass keine Chance hat.

KURIER: Ministerpräsident Stoltenberg hat sofort gesagt, die Antwort muss heißen: noch mehr Demokratie und noch mehr Offenheit. Hat Sie diese Reaktion überrascht?
Faymann: Nein, weil das grundsätzlich der richtige Weg ist. Trotzdem wird man polizeiliche Ermittlungen und Zusammenarbeit stärken müssen gegen verrückte, wahnsinnige Einzeltäter.
Michael Spindelegger: Für mich ist ganz entscheidend, dass wir den Datenaustausch über Gefährdungspotenziale verstärken, um all diesen Wahnsinnigen auf die Spur zu kommen und so etwas dann im Keim zu ersticken. Und wir müssen sensibler werden bei Verhetzung und einseitigen Schuldzuweisungen.

KURIER: Soll, wie von Verfassungsschutzchef Gridling gefordert, die Polizei das Internet besser und schärfer überwachen können?
Faymann:
Ich bin dafür, die Polizei bestmöglich zu unterstützen und gleichzeitig möglichst den Missbrauch zu verhindern. Wie das am besten geht, wird gerade im Parlament diskutiert. Wenn es notwendig ist, müssen wir die Gesetze zur Terrorbekämpfung verschärfen.
Michael Spindelegger: Solche Fälle sind eine Warnung, dass die freie, offene Gesellschaft von vielen Richtungen bedroht ist. Darum müssen wir mit allen Instrumenten Vorsorge treffen, dass sich so etwas nicht wiederholen kann.

"Alle sollten Nein zur Hetze sagen!"

KURIER: Der Vizekanzler hat in seiner ersten Reaktion eine "Abrüstung" der Worte verlangt. Können Sie sich vorstellen, dass alle fünf Parteien gemeinsam vereinbaren, nicht gegen gewisse Gruppen der Bevölkerung zu hetzen - oder ist es naiv zu glauben, dass so etwas ginge?
Faymann:
Eigentlich sollte das nicht notwendig sein, wenn es um Rassismus geht - und das ist die Basis der Hetze von rechten und rechtsextremen Gruppen. Aber wir sind beide bei jeder Initiative dabei, die die Gemeinsamkeiten des Landes in den Vordergrund stellt und nicht das Aufhetzen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen. Alle Parteien sollten gemeinsam Nein zur Hetze sagen.
Spindelegger: An uns beiden würde so etwas ja nicht scheitern. Die Frage ist, ob die anderen Parteien sich auch bereit erklären, ein solches Grundsatzübereinkommen zu unterstützen. Probieren sollte man es auf alle Fälle, denn wir dürfen nicht Gefahr laufen, dass durch ähnliche verbale Ausritte genau dieser Boden in Österreich aufbereitet wird.

KURIER: Haben Einzelne in der FPÖ mit gewissen Aussagen gegen den Islam für Sie diese Hemmschwelle schon überschritten?
Faymann:
Da hat es ja in der Vergangenheit bereits Verurteilungen gegeben. Es ist erschütternd, dass dazu auch aktive Politiker im Parlament gehören.

"Alle sollten Nein zur Hetze sagen!"

KURIER: Der verantwortliche FPÖ-Politiker für den Einsatz des "Moschee Baba"-Spiels, bei man Minarette und Muezzins abschießen kann, in einem Wahlkampf ist politisch unbehelligt Mitglied der steirischen Landesregierung.
Faymann:
Sie kennen meine Meinung, mit so einer solchen Partei bildet man keine Regierung.
Spindelegger: Für dieses geschmacklose Spiel, das im letzten Wahlkampf in der Steiermark vom Netz genommen werden musste, hat die FPÖ die Verantwortung zu tragen. Die Schlussfolgerung, deswegen niemals mit einer FPÖ zusammenzuarbeiten, teile ich aber nicht.

KURIER: Da hört sich die Gemeinsamkeit zwischen Ihnen beiden auf?
Spindelegger:
Bei der nächsten Wahl wird der Wähler seinen Auftrag gegeben haben, und dann wird man sich darüber neu unterhalten. Aber ich denke ehrlich gesagt nicht an die nächste Wahl, wir haben bis dahin vieles zu erledigen.

KURIER: Rot und Schwarz regieren in der Steiermark gemeinsam mit jenem FPÖ-Mann, der für den Einsatz des hetzerischen "Moschee Baba"-Spiels verantwortlich war. Kein Problem damit?
Spindelegger:
Das ist aufgrund des Proporzsystems unvermeidlich. Aber es wurde jetzt von beiden Landesparteien vereinbart, dass man dieses System abschafft.

KURIER: Es gibt gleichzeitig die Kritik, Sie machen zu wenig für Integration und gegen islamistische Prediger. Was sagen Sie diesen Menschen?
Spindelegger:
Der neue Staatssekretär für Integration hat einen Maßnahmenkatalog erarbeitet: Wer sich integriert, wird belohnt; wer das nicht tut und wer bewusst das auch gar nicht will, der muss auch Konsequenzen spüren. Denn es kann nicht sein, dass wir den Aufbau einer Parallelgesellschaft sehenden Auges unterstützen.

KURIER: Es gibt in der EU schon zwei Länder mit Burkaverbot. Soll Österreich das auch machen?
Spindelegger:
Wenn jemand zu Hause die Burka trägt, dann soll er das machen. Aber im öffentlichen Bereich sehe ich dafür keinen Platz. Wenn jemand einer Behörde gegenübertritt, vor Gericht erscheint oder bei der Schulbehörde nachfragt, was seine Kinder betrifft, dann soll er sein Gesicht zeigen.

KURIER: Man soll mit einer Burka über die Straße gehen können, aber nicht in die Schule?
Spindelegger:
Dort wo man dem Staat gegenübertritt, in diesen Situationen muss man meiner Meinung auch identifizierbar sein.
Faymann: Ich sehe in der Burka-Frage nicht ein Hauptproblem. Trotzdem ist es für mich nicht vorstellbar, dass eine Lehrerin, jemand, der im öffentlichen Dienst tätig ist z. B., eine Burka trägt. Man muss da unterscheiden, ob man jemanden auf der Straße sieht oder ob man in der Schule auf eine Lehrerin trifft, die eine Burka trägt.

"Alle sollten Nein zur Hetze sagen!"

KURIER: Bis vor Kurzem haben wir noch sehr emotional über Griechenland diskutiert, bevor Norwegen alles in den Schatten gestellt hat ...
Faymann:
... wir werden es wieder tun.

KURIER: Sollte dann die Politik nicht zugeben, dass die EU eine Transferunion ist, also wir in Wirklichkeit für die Schulden der anderen einstehen und auch künftig ärmere Länder finanziell unterstützen müssen?
Faymann:
Das ist ein falsches Bild. Denn es vermittelt, dass nur einer etwas davon hat, während der andere es gar nicht notwendig hätte. Wir brauchen in der Europäischen Union einen stabilen Euro, denn es ist auch unsere Währung. Wir profitieren stark von dieser Gemeinsamkeit. Wir haben deshalb auch gegenüber der Schweiz aufgeholt, mit der sich Österreich gerne vergleicht. Warum haben wir aufgeholt? Weil wir in der Euro-Zone gute Chancen im Export vorgefunden haben und die genutzt haben. Und deshalb ist es ein Transfer in alle Richtungen. Auch zu uns ist viel geflossen an Arbeitsplätzen, an Chancen durch diese gemeinsame Währung.
Spindelegger: Transfer im Sinne von "Alle die Geld haben, die schieben es zu den anderen hin", das hat es schon bisher nicht gegeben und wird es auch in Zukunft nicht geben. Wir haben jetzt Krisenfeuerwehr gespielt, und das, glaube ich, bisher ordentlich bewältigt. Entscheidend ist für uns, was wir daraus lernen. Auch in Österreich werden wir eine Lehre daraus ziehen müssen, dass wir einfach auf Dauer nicht viel mehr ausgeben können, als wir einnehmen. Wir müssen das wieder in die Balance bringen, und dazu müssen wir uns anstrengen.

KURIER: Was ist Ihr Slogan gegen den Anti-EU-Propandasatz der FPÖ "Unser Geld für unsere Leute"?
Faymann:
Dass das eine Lüge ist. Wir geben unser Geld für unsere Leute aus. Es nützt auch uns, wenn wir für eine gemeinsame Währung eintreten.
Spindelegger: Auch diejenigen, die kurzfristig augenzwinkernd so einer Position anhängen, haben letztlich im Gespür: Nur Rosinenpicken ist weder im Privatleben noch in der Politik möglich.

KURIER: Herr Bundeskanzler, vor der letzten Wahl gab es den berühmt-berüchtigten Leserbrief an die "Krone". Schließen Sie vor kommenden Wahlen eine Distanz zur EU in irgendeiner Form von Seiten der SPÖ aus?
Faymann:
Distanz schließe ich grundsätzlich nie aus. Wenn beispielsweise morgen in der EU die Verpflichtung für den Bau von Atomkraftwerken in allen Ländern kommen sollte, werde ich dazu eine Distanz einnehmen. Also ich schließe überhaupt nicht aus, dass Konflikte in der Europäischen Union erstens bevor stehen und wir sie zweitens für Österreich führen werden.

KURIER: Trotz Ihrer demonstrativen Gemeinsamkeit gibt es eine Reihe von Themen, bei denen Sie bis zu den nächsten Wahlen sicher nicht zusammenkommen werden: Vermögenssteuer, Bundesheer, Studiengebühren.
Faymann:
Beim Wort "sicher" sollte man vorsichtig sein. Auch die jüngste Steuerreform war ein gemeinsames Werk.

KURIER: Inklusive der in der Koalition umstrittenen Vermögenssteuer?
Spindelegger:
Ich sehe keinen Spielraum für neue Vermögenssteuern.

KURIER: Werden wir bei der Wahl 2013 einen zweiten Stimmzettel mit einer Themenliste vorfinden, die wir zudem abzustimmen haben: Ja oder Nein zu Berufsheer, Vermögenssteuern und Studiengebühren?
Faymann:
Nein, wir haben nicht gesagt, dass wir aus allem ein Plebiszit machen wollen. Die Wahl selbst ist ja auch ein Plebiszit über die generelle Richtung, in die Politik gehen soll. Aber in der Bundesheer-Frage eine Volksbefragung anzusetzen, ist keine unerlaubte Sache.
Spindelegger: Bei der Nationalratswahl werden verschiedene Konzepte zur Wahl stehen, und an denen werden wir beide arbeiten. Ich werde mit der ÖVP mit dem Konzept einer Mittelstandspartei in die Wahl gehen.

KURIER: Jetzt geht's bald auch für Sie Richtung Urlaub. Reicht die Gemeinsamkeit soweit, dass sie ein paar Erholungstage gemeinsam verbringen?
Faymann:
Nein, aber wir werden auch in der Zeit des Urlaubs miteinander telefonieren und uns treffen, wenn es notwendig ist. Ich freu mich, dass es auch eine persönliche Basis zwischen uns gibt. So etwas gehört für eine sachlich gute Zusammenarbeit dazu.
Spindelegger: Ich glaube, wenn man persönlich gut zusammenarbeitet als Bundeskanzler und als Vizekanzler ist das auch eine gute Voraussetzung, damit für Österreich eine gute Arbeit herauskommt. Das ist letztlich für die Bevölkerung das Entscheidende.

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