Alain Finkielkraut: „Die Männer sollen mehr und mehr weichen“

Alain Finkielkraut: „Die Männer sollen mehr und mehr weichen“
Er gilt als einer der prägenden Intellektuellen Frankreichs: Ein Gespräch mit dem KURIER über Feminismus, Wokeness und politische Korrektheit.

von Simone Weiler, Paris

In seinem neuen Buch „Vom Ende der Literatur. Die neue moralische Unordnung“, das in Frankreich bereits im Jahr 2021 und nun in deutscher Übersetzung erschienen ist, wirft der französische Intellektuelle Alain Finkielkraut einen wenig optimistischen Blick auf aktuelle Entwicklungen und hält ein Plädoyer für eine literarische Weltsicht. Der KURIER traf ihn in seiner Pariser Wohnung zum Gespräch.

KURIER: Ihr Buch liest sich wie eine Abrechnung unter anderem mit dem Feminismus und #MeToo. Inwiefern bedrohen diese Phänomene die Literatur?

Alain Finkielkraut: Ich beobachte ein ideologisches Abdriften unserer Gesellschaft, wodurch die literarische Sicht auf die Welt verdrängt wird. Auch mich entsetzen die Berichte von Frauen, die Opfer von Missbrauch und ungestrafter Gewalt wurden und ich zweifle sie nicht an. Aber das Aufkommen eines medialen Tribunals, das an die Stelle der Justiz getreten ist, ist beunruhigend. #MeToo setzt alle Erfahrungen gleich. Ein unanständiges Angebot wiegt ebenso schwer wie eine Vergewaltigung, denn hinter alledem steht immer ein System der Dominanz der einen über die anderen. Die Literatur hingegen betrachtet das Individuum, sie ist die unaufhörliche Entdeckung der menschlichen Vielfalt und Einzigartigkeit. Sie steht einer ideologischen Sicht entgegen, die die Menschen in zwei Kategorien, die der Dominierenden und die der Dominierten, einteilt.

Brauchen wir also heute keinen Feminismus mehr? Ist die Dominanz der Männer definitiv überwunden?

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