Vom Musiker zum Terrorfürst

FILE PHOTO: Iyad Ag Ghaly, the alleged leader of Ansar Dine, meets the then Burkina Faso foreign minister, Djibril Bassole, in Kidal, northern Mali in 2012
Er trank Whisky, rauchte Kette, promotete eine erfolgreiche Band - wie sich Iyad ag Ghali zu einem einflussreichen Warlord der al Qaida aufschwang.

Er soll der Kopf einer der gefährlichsten Terrororganisationen der Welt sein: Jama'at Nasr al-Islam wal-Muslimin (JNIM) – einem Ableger der al Qaida in der Sahelzone, der derzeit vor allem in Mali vorrückt und Regierung wie russischen Söldnern Sorgenfalten beschert. Iyad ag Ghali, früher mondäner Whiskytrinker und Zigarrenraucher in westlichen Bars, hat eine turbulente Entwicklung hinter sich, die exemplarisch die Entwicklung einer ganzen Region widerspiegelt. 

Als ag Ghali Mitte der 50er-Jahre geboren wurde, war Mali noch französische Kolonie. Die auch von Paris angestrebte Unabhängigkeit des Landes sorgte vor allem bei den Tuareg für Widerstand: „Unsere Interessen und Bestrebungen könnten unter keinen Umständen wirksam vertreten werden, solange wir an ein Gebiet gebunden sind, das zwangsläufig von einer schwarzen Mehrheit repräsentiert und regiert wird, deren ethnische Zugehörigkeit, Interessen und Bestrebungen nicht mit unseren übereinstimmen“, schrieben sie in einem Brief an General de Gaulle. 

Als Minderheit hatten und haben die Tuareg durch das westlich-demokratische Wahlrecht keine Chance auf politische Mitsprache. Separatistische Tendenzen hatte es auf Tuareg-Seite immer gegeben, zumal sich ihre Schmuggler- und Nomadenrouten quer über die willkürlich gezogenen neuen Staatsgrenzen zogen. Ag Ghali war neun Jahre alt, als sein Vater während eines Tuareg-Aufstands gegen die malische Regierung 1960 getötet wurde. 

Verbündeter Gaddafis

Einer, der dies rasch erkannte und für seine Zwecke einsetzte, war der libysche Machthaber, Muammar al Gaddafi, dem sich ag Ghali anschloss, für den er rekrutierte und kämpfte. Doch parallel dazu unterstützte er die musikalische Karriere seiner Kameraden – etwa die Band „Tinariwen“ – mit Instrumenten, Auftrittsmöglichkeiten und Texten. Das von ihm geschriebene Lied „Bismillah“ (Im Namen Gottes) wurde zu einer Hymne des Tuareg-Widerstands. 

Roskilde Festival

Zu diesem Zeitpunkt, schreibt das Wall Street Journal in einem ausführlichen Porträt über ihn, sei er in erster Linie Tuareg gewesen, in zweiter Linie Moslem. Nach einem erbitterten weiteren Kampf gegen die malische Regierung und einem Friedensschluss in den 90ern verhalf er Tinariwen zu weiterem Erfolg, wurde dann und wann mit dem Whiskyglas und kettenrauchend gesehen.

Bandproben in der Villa

 Ag Ghali ließ Tinarwien in seiner Villa in Malis Hauptstadt Bamako proben, begleitete den malischen Präsidenten auf Reisen, hörte Bob Marley. Bis ihn Ende der 90er pakistanische Prediger endgültig radikalisiert haben sollen. Aus dem Partygänger wurde ein strenggläubiger Islamist. Die „Musik des Satans“, wie er Tinariwen später bezeichnete, wurde langsam, aber sicher zu seinem Feindbild.

Die Band, der er geholfen hatte, groß zu werden, wurde immer erfolgreicher. Spielte neben Shakira bei der Fußball-WM 2010, gewann einen Grammy, trat bei großen Festivals auf.

Mit dem Fall Gaddafis kam es auch Turaeg-intern zu Streitereien. Ag Ghali wandte sich ab, gründete 2011 die islamistische Gruppierung Ansar Dine, die sich rasch mit al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) verbündete. Gemeinsam überrannten sie 2012 den Norden Malis. Timbuktu, Gao und Kidal fielen. Musik wurde verboten, Frauen durften das Haus nur in männlicher Begleitung verlassen. Ag Ghalis Kämpfer errichteten einen islamistischen Terrorstaat, in dem sie Frauen vergewaltigten und „verheirateten“, wie der Internationale Strafgerichtshof es später formulierte.

Die französische Armee half Mali, drängte die Islamisten 2013 aus den Städten. Doch ag Ghali überlebte – auch politisch. Er sammelte versprengte Gruppen unter dem Dach von JNIM, jene Gruppe, die neben dem „Islamischen Staat in der Provinz Sahel (ISSP)“ als einflussreichste Terrorgruppe im Sahel gilt. 

Weder französische noch europäische noch UN-Missionen konnten ihnen Einhalt gebieten – auch die Streitkräfte der Putschregierungen Malis, Burkina Fasos und Nigers beißen sich derzeit im Verbund mit russischen Söldnern die Zähne aus. Gleichzeitig profitiert ag Ghali von der Unfähigkeit des malischen Staates, Sicherheit und Ordnung herzustellen. In Regionen, in denen weder Bamako noch die Russen präsent sind, organisiert seine Gruppe „Schutzgeldabkommen“ mit Dorfgemeinschaften – gegen Vieh und Getreide. „Es ist sicher – aber es ist ein Gefängnis“, zitiert das Wall Street Journal einen lokalen Anführer. 

So tobt der Krieg in der Region weiter, Hunderttausende fliehen in Richtung Mauretanien und Senegal - und seit Jahresbeginn mehr als 11.000 weiter in Richtung Europa. 

 

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