Wahlen mit viel Sprengstoff

Der Präsidentenwahl am kommenden Samstag geht eine massive Terrorwelle voraus.

Es gibt ein Davor und ein Danach. Dazwischen liegt der 5. April, Wahltag in Afghanistan. An diesem Tag wählen geschätzte zwölf Millionen Wahlberechtigte einen neuen Präsidenten. Der alte, Hamid Karzai, tritt nicht mehr an. Ein Stichtag. Es ist der erste demokratische Machtwechsel in der Geschichte Afghanistans.

Aber einer, der von Gewalt überschattet ist. "Die Welt ist verrückt geworden", so ein Afghane, der für ausländische Medien arbeitet, über die Lage in Kabul. Seit Wochen überziehen Aufständische vor allem die afghanische Hauptstadt sowie Provinzhauptstädte mit einer Welle von Anschlägen und Attentaten. Vor zwei Wochen war es das Serena Hotel, in dem Aufständische um sich schossen. Der bekannte Journalist Sardar Ahmed, engagierter Rettungsanker, Hilfesteller und Anknüpfungspunkt für viele Ausländer in Kabul, starb dabei. Mit ihm seine Frau und zwei seiner Kinder. Sein Tod sollte zu einem Aufschrei des liberalen Afghanistan, sein Begräbnis zu einer Demonstration gegen die andauernde Gewalt führen. Ein Ruf, der ungehört blieb. Anschläge auf die Wahlkommission folgten ebenso wie Attacken auf Gästehäuser. Aus Sicherheitsgründen wurden viele von ihnen geräumt. Am Mittwoch zündete ein Selbstmordattentäter vor dem Innenministerium in Kabul eine Bombe.

All das, während in den Statements und Aussendungen der NATO-Truppe ISAF weiterhin von "Fortschritt", "Entwicklung" und "Assistenz" die Rede ist. Aus Sicht der NATO ist der Job in Afghanistan erledigt. Mit Ende des Jahres endet das Mandat der ISAF. Darüber, was danach passieren wird, herrscht völlige Unklarheit.

Eine Folgemission der NATO ist noch in Diskussion, ein bilaterales Sicherheitsabkommen zwischen den USA und Afghanistan ist noch nicht unterzeichnet. Karzai hatte es zwar ausverhandelt, den Deal auch vom höchsten Rat der Stammesführer und Ältesten, der Loya Jirga, absegnen lassen, ihn bisher aber nicht unterschrieben. Zwischen Afghanistans scheidendem Präsidenten Karzai und US-Präsidenten Barack Obama herrscht offene Dissonanz.

Durchmischte Bilanz

Die Bilanz Karzais ist durchsetzt. Von einem Frieden mit den Taliban, einem deklarierten Ziel Karzais, kann keine Rede sein. Die Opium-Produktion ist unter ihm sprunghaft angestiegen. Und die Korruption in Regierungsbehörden ist auf einem nur in Superlativen zu beschreibenden Level – nicht zuletzt auch wegen Unsummen an ausländischen Geldern, die zum Teil kaum kontrolliert in Staatstöpfe flossen, während die nationalen Steuerbehörden nur geringe Einnahmen verzeichnen.

Das Verhältnis zu den USA und zur NATO neu zu definieren und den Staat nach 35 Jahren Krieg mehr und mehr zu formen, wird Karzais Nachfolger überlassen bleiben. Die Entscheidung, wer das sein wird, dürfte zwischen drei Kandidaten fallen: Ashraf Ghani, früherer Finanzminister und Weltbank-Ökonom, Ex-Außenminister Abdullah Abdullah sowie Ex-Außenminister Zalmai Rassoul. In Umfragen führt Ghani gefolgt von Abdullah. Es gilt als wahrscheinlich, dass es zu einer Stichwahl kommen wird. Diese soll am 28. Mai stattfinden.

Die Botschaft der Taliban ist klar: Die Wahlen sollen torpediert werden, koste es, was es wolle. 350.000 afghanische Sicherheitskräfte werden den Urnengang kommenden Samstag sichern – im Hintergrund logistisch und durch Aufklärungserkenntnisse unterstützt von der NATO. Es ist die letzte Wahl vor dem Abzug der NATO-Truppe. Und somit geht nicht nur für sie sowie für das offizielle Afghanistan eine Ära zu Ende – auch für die Taliban. Alle Bemühungen, sie ins politische Leben des Landes zu integrieren, sind fehl geschlagen. Ihre Stoßrichtung: Die neuerliche Machtübernahme in Kabul.

Teile des Landes vor allem im Osten und Süden sind unter ihrer Kontrolle – und waren es eigentlich immer seit ihrem Sturz Ende 2001. Auf diese Gebiete hat der ohnehin strukturschwache afghanische Staat keinerlei Einfluss. Von 7170 Wahlzentren mit rund 20.000 Wahllokalen werden am Samstag 750 geschlossen bleiben. Aus Sicherheitsgründen.

Medienberichten zufolge sind die Taliban aber gerade derzeit geschwächt wie selten zuvor. Die Ironie daran: Verantwortlich dafür seien weniger militärische Erfolge der NATO oder der afghanischen Sicherheitskräfte, als den Taliban an sich durchaus wohlgesonnene Geldgeber in den Emiraten und Saudi Arabien. Diese würden derzeit eher Rebellen in Syrien unterstützen. Zudem hätten sich Fundraiser der in ihrem Ursprung ultra-puristischen Taliban in Pakistan durch protziges Gehabe und unislamische Eintreibemethoden unbeliebt gemacht. Die Bilanz: Einnahmen für Waffen, Verpflegung und Sold sinken angeblich. Nicht zuletzt aber dürfte nach wie vor Hilfe vom pakistanischen Geheimdienst kommen. Und wie die derzeitige Serie an Anschlägen zeigt, sind die Taliban alles andere als am Ende.

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