„Aufstehen gegen die Taliban“

Fawzia Koofi speaks during an interview in Kabul April 12, 2012. Condemned to die shortly after birth for being a girl, outspoken lawmaker Koofi lived to become a champion of women's rights in Afghanistan and is now eyeing the presidency in 2014. Picture taken April 12, 2012. REUTERS/Mohammad Ismail (AFGHANISTAN - Tags: POLITICS ELECTIONS)
Die Politikerin Fawzia Koofi im Interview über Hoffnungen, Ängste und die Burka.

Ihr Haus in Kabul ist eine Festung – bewacht von schwer bewaffneten Sicherheitsleuten lebt Fawzia Koofi zusammen mit ihren beiden Töchtern. Sie vereint vieles in sich: Sie ist Aktivistin für die Rechte von Frauen, Parlamentsabgeordnete und Vize-Präsidentin der Nationalversammlung. Und bei den Wahlen 2014 wird sie für die Präsidentschaft kandidieren.

KURIER: Was überwiegt: Zuversicht oder Zweifel an der Zukunft Afghanistans?

Fawzia Koofi: Gemischt. Es gibt Punkte, da bin ich besorgt, aber zugleich gibt es auch Punkte, die machen mich zuversichtlich. Besonders der so genannte Friedensprozess, den die Regierung eingeleitet hat. Der verunsichert mich. Kommen die Taliban zurück, als politische Partei? Werden sie eine so zu sagen „zivilisierte Bewegung“? Und natürlich die Unklarheit, welche Rolle die Internationale Gemeinschaft nach 2014 einnimmt. Die USA haben den Rückzug der Truppen im Frühjahr 2013 angekündigt. Wir haben damit gerechnet, dass das 2014 passiert. Das bringt Unsicherheit. Unsere Sicherheitskräfte haben sich verbessert – bei allen Mängeln. Aber die Moral bietet Grund zur Hoffnung. Und die Menschen werden nicht zurückgehen. Sie werden keine totalitäre Regierung mehr akzeptieren.

Sie meinen die Taliban-Zeiten?

Genau. 1996, als die Taliban gekommen sind, gab es kaum Widerstand. Die Menschen haben sie als Garant für Friede und Sicherheit gesehen. Das hat sich geändert. Heute werden sie als von außen gesteuerte extreme Gruppe angesehen.

Ist der Abzug 2014 zu früh?

Das denke ich. Wenn es keine Wahlen geben würde 2014, so, dass wir einen politischen Übergang hätten vor dem militärischen – das gäbe gewisse Sicherheit. Es gäbe eine gewählte Regierung. Aber jetzt haben wir zwei Großereignisse zugleich: Wahlen und Abzug. Die Angst besteht, dass manche Elemente das nutzen werden.

Eines dieser Ereignisse betrifft auch Sie. Sie kandidieren für die Präsidentschaft. Haben Sie eine realistische Chance?

Ich denke, jeder Politiker muss sich an den Gegebenheiten des Umfeldes orientieren, in dem er tätig ist. Und die Gesellschaft hat sich verändert. Es stimmt, dass Extremismus und Konservativismus im Wachsen begriffen sind. Es stimmt aber auch, dass der progressive Teil der Bevölkerung wächst. Die Gesellschaft ist gespalten. Und der konservative Teil hat eine stärkere Stimme. Was ich möchte, ist ein moderater Weg in Politik und Islam – um die Gesellschaft langsam zu verändern. Um Afghanistan mehr zu einer demokratischen Gesellschaft zu machen, als die traditionelle und gespaltene, die es jetzt ist. Ich sehe grünes Licht in einigen Bereichen. Wenn ein großer Teil der Gesellschaft friedliche Veränderungen einfordert – ohne Waffen – müssen wir reagieren. Für mich ist nicht wichtig, Präsidentin dieses Landes zu werden. Ich will den Menschen eine Stimme geben.

Hat Präsident Karzai einen guten Job gemacht?

Leider nein. Er war ein Symbol der Einheit und der Veränderung bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Seit 2006 hat er sich zurückentwickelt. Frauenrechte haben keine Priorität mehr. Er arbeitet eher mit traditionellen Mechanismen als mit legalen. Wir haben einige Loya Dschirgas (nicht demokratisch legitimierte Versammlungen der Ältesten, Anm.) erlebt – aber wir haben offizielle Strukturen wie das Parlament. Er hat Schritte getätigt, die Taliban wieder an Bord zu holen. Oder dieser sogenannte Friedensprozess.

Ist er gescheitert?

In vielen Punkten ja. Leider. Sicherheit ist einer. Rechtsstaatlichkeit, Armutsbekämpfung, verantwortungsvolle Regierungsführung, Korruption. Aber ich verstehe seine Limits. Er hat ein Land aufgebaut aus dem Nichts. Aber er hat viele Fehler gemacht. Er hat es etwa nicht geschafft hat, ein Team aufzustellen, das einen Zugang zu Menschen hat, das Geld im Interesse des Landes investiert. Er hätte können. Aber er hat sich an einigen wenigen Personen angeklammert. Und seine persönlichen Interessen verfolgt.

Nach zehn Jahren Aufstand, der offenbar nicht allzuleicht zu bewältigen ist – machen Gespräche mit den Taliban nicht Sinn?

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Gespräche. Aber als jemand, der immer in diesem Land gelebt hat, weiß ich auch, dass unklar ist, wer die Taliban eigentlich sind. Mit wem reden wir also? Und es besteht die Frage: Was können wir gewinnen durch Gespräche? Und was sind wir bereit zu geben? Was sind unsere Bedingungen? Und beharren wir auf ihnen? Dass die Verfassung respektiert wird, Menschenrechte, Frauenrechte. Oder gibt es einen Kompromiss? Mein Vorschlag: Wir müssen uns mit den Ländern auseinander setzen, die die Taliban unterstützen. Wo ist Mullah Omar? Wo wurde Osama bin Laden getötet?

Ich bin sicher, Sie besitzen eine Burka. Sind Sie sicher, dass Sie sie nie mehr tragen werden?

(lacht, Anm.) Ich habe Vertrauen – in mich und die Menschen. Dass sie es nicht mehr an diesen Punkt kommen lassen, an dem Frauen die Welt und die Möglichkeiten, die sie bietet, nur durch die Fenster ihrer Burka sehen. Wir müssen auf die Welt als Menschen schauen können. Aber wie gesagt. Ich glaube, die Afghanen werden die Taliban nicht zurückkommen lassen. Sie werden aufstehen gegen sie. Wenn wir alleine gelassen werden, werden wir das tun. Und wenn heute eine Frau auf der Straße geschlagen wird, können wir ein Foto machen und es mit der Welt teilen.

Aber facebook und YouTube führen doch nicht zwingend zu Liberalisierung.

Aber die ganze Welt wird sehen, wenn hier schlimme Dinge passieren. Es ist nicht 1996. Vielleicht werden wir zurückgehen. Politisch. Aber sozial hat es einen großen Fortschritt gegeben.

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