Ägypten: Armee als das Maß aller Dinge
Es ist ein Wechselbad der Gefühle, das die Anhänger der Muslimbrüder dieser Tage erleben. So recht wissen die Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten Mohammed Mursi nicht, ob sie nun mehr Grund zum Feiern oder zum Protestieren haben. Bei der Stichwahl zum Präsidentenamt gegen den kurzzeitigen Mubarak-Premier Ahmed Shafik scheint ihr Kandidat die Nase vorne zu behalten. Auch wenn das offizielle Wahlergebnis erst am Donnerstag bekannt gegeben werden soll, sprachen die Muslimbrüder gestern in einer Pressekonferenz bereits vom Triumph. Auch einige unabhängige Zeitungen sehen Mursi knapp vorne. Laut Al-Masry al-Youm gewann er mit 12,322.549 Stimmen vor Shafik mit 12,201.549.
Auch aus Sicherheitskreisen in Kairo hieß es am Dienstag, der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, habe in der Stichwahl mit 51,5 Prozent der Stimmen über seinen Rivalen Ahmed Shafik gesiegt.
Spontan kam es am Montag am Kairoer Tahrir-Platz zu Feiern. Hunderte Menschen hatten Bilder ihres Kandidaten in Händen und sangen "Nieder mit dem Militärrat".
Während die Muslimbrüder zwar möglicherweise die Präsidentenwahl gewonnen haben, wird ihre überwältigende Mehrheit im Parlament aber hinfällig. Denn am Freitag wurde die Volksversammlung nach einem Richterspruch des Obersten Gerichts aufgelöst. Der Grund: Die Parlamentswahlen – die ersten freien Wahlen in Ägypten – wurden für ungültig erklärt.
In der Nacht auf Montag übertrug der Militärrat die meisten Kompetenzen des Parlaments – inklusive Gesetzgebung und Budget – auf sich selbst. Ermöglicht wurde das durch das Dekret einer Übergangsverfassung, das offenbar in wenigen Tagen ausgearbeitet worden war.
Vetorecht für Militärrat
Laut diesem Dokument können die Generäle jetzt entscheidend Einfluss auf die noch auszuarbeitende Verfassung nehmen. Zwar soll eine noch vor der Auflösung vom Parlament eingesetzte Versammlung die Verfassung schreiben, doch der Militärrat genießt in allen Bereichen ein Vetorecht.
Dieses am Sonntagabend veröffentlichte Dekret legt auch fest, dass es Neuwahlen geben soll, allerdings frühestens Ende des Jahres, wenn eine neue Verfassung steht. Zudem soll der neu gewählte Präsident keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Militärrates haben.
Bei einem Treffen mit Journalisten beschwichtigten die Generäle um ihren Vorsitzenden Hussein Tantawi: Auch wenn die Gesetzgebung jetzt beim Militärrat liegt, müsse man immer noch jedes Gesetz vor Verabschiedung zum neuen Präsidenten schicken, der ein Vetorecht hat.
Die Anhänger der Muslimbrüder haben für Dienstag erneut zu Protesten aufgerufen. Doch besonders enttäuscht ist die Mehrheit der 80 Millionen Ägypter, die nicht wählen gegangen ist – die Wahlbeteiligung lag bei etwa 50 Prozent. Für sie scheint die Revolution nun endgültig verloren, viele sprechen von einem "Militärputsch". Sie sehen sich in ihrer Sorge bestätigt, dass die Generäle die Macht nicht wie geplant am 1. Juli an den Präsidenten abgeben werden.
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