50.000 Menschen flohen aus Ostaleppo

Zerstörungen in Aleppo
Russland geht davon aus, dass der Kampf um Aleppo bis Ende des Jahres entschieden ist. UN-Sicherheitsrat berät über "eines der schlimmsten Massaker an der Zivilbevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg".

Die Zahl der Toten und Flüchtlinge in der umkämpften nordsyrischen Großstadt Aleppo steigt dramatisch. Durch Kämpfe in den Rebellenvierteln der Metropole und Luftangriffe wurden allein in den vergangenen Tagen mehr als 50.000 Menschen aus dem Ostteil der Stadt vertrieben, wie die oppositionsnahe "Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte" meldete.

Mindestens 21 Zivilisten, darunter Kinder, starben am Mittwoch in Ostaleppo durch Artilleriebeschuss. Dutzende wurden verletzt. Die Menschenrechtler und Aktivisten machten das Regime für den Angriff verantwortlich.

Rettungshelfer berichteten, bei dem Beschuss des Stadtteils Jubb al-Kubba seien 45 Menschen getötet worden. Bei den Opfern handle es sich um Zivilisten, die in Stadtteile unter Kontrolle der Regierung fliehen wollten, sagte Abdel Rahman Hassan von der Organisation Weißhelme. Fotos der Helfer zeigten Leichen, die neben Gepäckstücken auf der Straße lagen. Am Dienstag waren bei einem Luftangriff zehn Menschen auf der Flucht getötet worden.

Rebellen wollen weiterkämpfen

Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete zudem am Mittwoch, bei Artilleriebeschuss von "Terrororganisationen" auf Viertel unter Kontrolle der Regierung im Westen Aleppos seien acht Menschen getötet worden. Unter den Opfern seien auch zwei Kinder. Russland hat den Rebellen vorgeworfen, die Bewohner als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Ungeachtet dieser Verluste und zahlreichen Opfer kündigten Rebellenvertreter an, dass sie den Kampf fortsetzen wollten. "Ein Rückzug wird von den Gruppierungen abgelehnt", sagte Zakaria Malahifji, der Anführer der in Aleppo ansässigen Rebellengruppe Fastaqim der Nachrichtenagentur Reuters. Dies sei eine Entscheidung nach Rücksprache mit mehreren Rebellen-Gruppen.

Russland: Kampf bis Jahresende entschieden

Die syrische Armee hat in den vergangenen Tagen etwa die Hälfte des von Rebellen und Extremisten kontrollierten Gebietes im Ostteil Aleppos zurückerobert. Russland geht davon aus, dass der Kampf um die syrische Stadt Aleppo bis zum Jahresende entschieden ist. "Das hoffen wir natürlich", sagte Vizeaußenminister Michail Bogdanow laut der Agentur RIA am Mittwoch auf eine entsprechende Frage. "Wir müssen diese Terroristen auf dieselbe Art und Weise vertreiben wie dies in Mossul und Raqqa geschehen muss", sagte Bogdanow, der somit die Gegner im Kampf um Aleppo auf eine Ebene mit der Terrormiliz "IS" setzte.

Am Dienstag hatte ein ranghoher Vertreter der Syrien unterstützenden Militärallianz erklärt, Ziel sei es, die Rebellen vor der Amtseinführung des designierten US-Präsidenten Donald Trump aus Aleppo zu vertreiben. Trump tritt sein Amt am 20. Jänner an. Russlands Regierung ist nach Bogdanows Worten mit dem Übergangsteam von Trump in Kontakt, wie die Nachrichtenagentur Tass meldete.

Das russische Außenministerium kritisierte zudem, dass die Hilfe für Syrien zunehmend zum politischen Spielball werde. Der größte Teil der UNO-Hilfsgüter komme jenen Gebieten zugute, die von Rebellen kontrolliert würden, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. So werde nur ein Prozent der UNO-Hilfe nach Deir al-Zor geschickt, wo mindestens 200.000 Menschen von der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) eingeschlossen seien. Demgegenüber fließe der größte Teil der UNO-Hilfen in Rebellen-Gebiete, darunter auch in jene, die von der einst als Nusra-Front bekannten Extremistenorganisation kontrolliert würden.

Panik und Verzweiflung

Einwohner berichteten, unter den Menschen herrsche Panik und Verzweiflung. Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Beobachtungsstelle suchten in den vergangenen Tagen mehr als 30.000 Zivilisten in Gebieten unter Kontrolle kurdischer Einheiten Zuflucht, etwa 20.000 in Vierteln des Regimes. Mehr als 15.000 Zivilisten seien zudem in andere Rebellenviertel im Südosten Aleppos geflohen, sagte der Leiter der Menschenrechtler, Rami Abdel Rahman, der Deutschen Presse-Agentur.

Er berichtete außerdem von Hunderten Menschen, die nach der Flucht in Regimegebiete festgenommen und verhört worden seien. Während viele wieder freigelassen worden seien, sei das Schicksal von mindestens 300 von ihnen bisher unbekannt. Viele oppositionelle Aktivisten haben Angst vor Racheakten, sollten sie in die Hände des Regimes fallen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte am Dienstag vor willkürlichen Festnahmen durch das Regime gewarnt.

Das internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bezifferte die Zahl der in den vergangenen drei Tagen Vertriebenen auf rund 20.000 Menschen. Bei der Mehrheit handle es sich um Familien mit Kindern, erklärte das IKRK am Dienstagabend. Sie kämen teilweise in Moscheen, Schulen, Zelten und halb fertigen oder zerstörten Gebäuden unter. Seit August hätten in Aleppo schätzungsweise rund 60.000 Menschen wegen der Gewalt ihre Häuser verlassen, hieß es weiter. Im von der Regierung kontrollierten Westteil Aleppos flohen demnach mehr als 40.000. Die Lebensmittelvorräte seien gering, die Preise in die Höhe geschossen. So koste ein Kilo Zucker 21 US-Dollar (rund 20 Euro).

Vor zwei Wochen hatten die Truppen des syrischen Staatschefs Bashar al-Assad eine Offensive zur vollständigen Eroberung der einstigen Wirtschaftsmetropole begonnen. Am Samstag verkündeten sie die Eroberung des größten Rebellenviertels von Aleppo. Am Montag gaben die Rebellen mehrere Stadtviertel im Nordosten der Stadt auf, so dass das Rebellengebiet in Aleppo in zwei Teile zerfiel. Die syrische Armee hat mit Unterstützung von Russland und dem Iran in den vergangenen Tagen fast die Hälfte des von Rebellen und Extremisten beherrschten Ostteils von Aleppo erobert.

Debatte über Aleppo im UN-Sicherheitsrat

Der UNO-Sicherheitsrat will am heutigen Mittwoch in einer Dringlichkeitssitzung über die humanitäre Krise in der umkämpften syrischen Stadt beraten. Das gegenwärtige Kampfgeschehen in Aleppo "könnte eines der schlimmsten Massaker an der Zivilbevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg" darstellen, sagte der französische UNO-Botschafter Francois Delattre am Dienstag in New York.

Delattre hatte die Sitzung gemeinsam mit seinem britischen Kollegen beantragt.

Die Vertreter der 15 Ratsmitglieder sollen in der Sitzung den Bericht eines für humanitäre Einsätze zuständigen UNO-Vertreters und des UNO-Sondergesandten Staffan de Mistura hören. Nach Angaben des britischen UNO-Botschafters Matthew Rycroft soll der Sicherheitsrat dann über Pläne für die Lieferung von Hilfsmitteln nach Aleppo und für den Abtransport von Kranken und Verletzten aus der Stadt beraten.

Rycroft rief namentlich das Ratsmitglied Russland auf, seinen Einfluss auf die verbündete syrische Regierung geltend zu machen. "Die Zukunft von Aleppo liegt in den Händen des Regimes und Russlands, und wir fordern das Regime und Russland auf, die Bombenangriffe einzustellen und die Hilfslieferungen durchzulassen", sagte Rycroft.

Kommentare