250 km/h mit der Kraft des Vulkans
Im Monatsrhythmus werden die Touristenzahlen in Island derzeit nach oben geschraubt. Nach aktuellen Prognosen werden bis Jahresende 1,8 Millionen Menschen in dem nordeuropäischen Staat Urlaub machen. Ein neuer Rekord, denn das bedeutet eine Verdoppelung innerhalb von nur zwei Jahren. Allein heuer soll die Wirtschaft wegen der gestiegenen Reiseströme um vier Prozent wachsen (siehe auch Zusatzbericht) – so viel wie sonst kaum noch in einem Land in Europa.
Und schon wartet der nächste Schub: Denn der große Boom nach der erfolgreichen Fußball-Europameisterschaft steht erst bevor. Heuer haben bereits 55 Prozent mehr Touristen wegen Flügen nach Island im Internet geschaut. "Normalerweise interessieren sich die Leute für Island und dann kommen sie drauf, wie teuer das Land ist. Bis sie das nötige Geld beisammen haben, vergehen meist zwei oder drei Jahre", sagt Tourismusmanagerin Ann-Cathrin Bröcker. Sie rechnet deshalb mit weiter stark steigenden Zahlen.
4000 Hotelbetten mehr
In den nächsten Jahren wird sich das einst beschauliche Land wandeln. Allein in Reykjavík sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre 4000 neue Hotelbetten gebaut werden. Bis dahin soll auch eines der ehrgeizigsten Projektes des Kontinents vollendet sein – ein 250-km/h-Hochgeschwindigkeitszug, der mit Strom aus Geothermalenergie angetrieben wird.
Schon jetzt ist die Nutzung der Vulkanwärme in Island ein wichtiges Standbein. Das Kraftwerk Hellisheiði erzeugt ein Viertel des Stromes eines Atomkraftwerkes. Dazu wird Wärmeenergie erzeugt: "Das Wasser kommt bei uns mit 83 Grad aus der Erde und wird elf Kilometer nach Reykjavik gepumpt. Dort hat es noch immer 81 Grad und wird zum Heizen benutzt", erklärt ein Mitarbeiter des Kraftwerks. "Am Ende bleiben 53 Grad übrig. Das leiten wir aber nicht ins Meer, sondern damit beheizen wir die Straßen der Hauptstadt. In der Innenstadt sind alle Gassen mit Wärmerohren unterlegt. Von mir zu Hause in die Universität kann ich auch im Winter sicher mit dem Fahrrad fahren." Im Endausbau soll eines Tages ganz Reykjavík eisfrei werden.
Fünf Vulkan-Kraftwerke
In Island gibt es fünf dieser "Vulkan-Kraftwerke", die 90 Prozent des Strombedarfes decken, die restlichen zehn Prozent stammen aus Wasserkraft. Dadurch ist der Strompreis so niedrig, dass immer mehr große Firmen nach Island kommen.
Mit der Geothermalenergie soll auch der "Lava-Express" betrieben werden. So heißt der Hochgeschwindigkeitszug, zu dem derzeit alle Fluggäste befragt werden. Momentan läuft die Suche nach Geldgebern, doch es deutet viel darauf hin, dass das Projekt nun in Schwung kommt. Denn als der Zug erstmals 2011 in Gespräch kam, transportierte die staatliche Fluglinie Icelandair noch 1,7 Millionen Passagiere. Im Vorjahr waren es bereits fast doppelt so viele – obwohl es mittlerweile mehrere Billig-Konkurrenten gibt. Diese Zahlen sollten eigentlich laut Prognosen erst im Jahr 2023 erreicht werden.
Die 50 Kilometer vom Flughafen in die Hauptstadt sind das größte Problem für die Reisenden. Derzeit gibt es zwei Varianten: Eine Taxifahrt kostet stolze 130 Euro, einzige Alternative sind zwei bemerkenswert unkomfortable Buslinien. So muss man an zentralen Busbahnhöfen umsteigen, viele Unterkünfte werden gar nicht angefahren. Der Transfer dauert so bis zu zwei Stunden.
Noch vor Herbstbeginn wird die Planung der Zugstrecke beginnen, die den Weg vom Flughafen in die City auf 18 Minuten verkürzt. Die Kosten, eine Milliarde Euro, tragen britische Financiers.
Kauri Johannsson steht derzeit bis zu vierzehn Stunden allein in seiner Halle in Isafjördur und verarbeitet den Fisch, den seine Familie an Land gezogen hat. Fast täglich kommt ein Kreuzfahrtschiff vorbei und will beliefert werden. Eine halbe Tonne frischen Fisch übergibt Kauri dann jedes Mal und erhält 6000 bis 8000 Euro.
Stolze 60 Prozent des isländischen Exports machen Fische und Fischfangprodukte aus. Geht’s den Fischen gut, geht’s den Isländern gut. "Sogar Delikatessenrestaurants aus New York lassen sich den Fang des Tages aus Island liefern – per Flugzeug", berichtet Hotel-Manager Thomas Pfennings.
Die Fische beißen, die Touristen kommen und auch der Brexit eröffnet den Isländern möglicherweise neue Chancen. Denn das Land ist mit Norwegen, Liechtenstein und der Schweiz der letzte Rest der Freihandelszone EFTA. Island hofft auf eine Rückkehr Großbritanniens und damit neue Märkte.
Für den seit 1. August im Amt befindlichen neuen Präsidenten Guðni Jóhannesson scheint also eine goldene Zeit eingeläutet zu sein. Allzu viel falsch machen kann der gelernte Historiker nicht, sein zentrales Wahlversprechen – die Möglichkeit, Referenden abzuhalten – wird umsetzbar sein. Ganz klar positioniert hat sich Guðni, in Island wird selbst der Präsident mit Vornamen angesprochen, auch in Bezug auf die EU. Er ist gegen einen Beitritt. Island hatte zwar 2009 im Zuge der Wirtschaftskrise ein Ansuchen gestellt, dies aber 2015 wieder zurückgezogen. Denn einerseits ist die Krise überwunden, andererseits wollte Island seine selbst genehmigte Fischereizone von 200 Seemeilen (370 Kilometer) nicht aufgeben. Um diese wurden immerhin drei sogenannte Kabeljaukriege geführt, bei denen sogar Großbritannien klein beigab.
Somit droht dem neuen Präsidenten nur ein Fallstrick – und das ist ausgerechnet der Tourismus. Denn den Isländern ist das langsam alles doch zu viel. 75 Prozent befürchten in einer aktuellen Umfrage, dass dies zu Schäden in der Natur führt. Doch die Zeichen stehen auf Zuwachs – in Akureyri (im Norden) und Egilsstaðir (im Osten) sollen bald internationale Flughäfen entstehen.
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