Seit Silvester 1923 – und damit heuer zum 100. Mal – läutet die BBC das neue Jahr mit der Übertragung des Westminster-Glockenspiels ein und verhilft dem ohnehin bekanntesten Wahrzeichen zu noch mehr Reichweite. Denn kein englisches Wahrzeichen wird häufiger fotografiert als der Uhrturm des Parlaments.
Ein Fakt, den man sofort glaubt, wenn man die Londoner Westminster-Brücke überquert, und dort – egal zu welcher Tages- oder Jahreszeit – begeisterte Touristen (oder Wahlbriten) findet, die versuchen mithilfe von Selfie-Sticks oder Fremden das beste Foto mit sich selbst und dem ikonischen Turm zu bekommen, der seit April 2022 wieder ohne Gerüst zu sehen ist.
Versteckt
Der wahre Big Ben ist auf den Fotos freilich nicht zu sehen. Denn damit ist eigentlich
die „Great Bell“, die größte Glocke gemeint. Deren Entstehungsgeschichte war jedoch alles andere als großartig. Am 6. August 1856 (145 Jahre nachdem die alte Pummerin aufgehängt wurde) wurden in Warners Gießerei nahe Stockton-on-Tees die Öfen angeheizt, doch etwas zu früh gejubelt, als die Gussform geöffnet und Englands (zu dem Zeitpunkt) größte Glocke zum Vorschein kam.
Wegen unpassender Straßenbedingungen sollte die Glocke auf Schienen und über den Seeweg nach London kommen. Doch am Hafen angekommen, stellte sich heraus, dass die Glocke nicht 14, sondern 16 Tonnen wog, und das Schiff „The Wave“ musste erst für Reparaturarbeiten an Land.
Verweht
Auf hoher See, wurde „The Wave“ von einem derart heftigen Sturm ergriffen, dass man in London munkelte, Schiff und Glocke seien verloren gegangen. Endlich in der Hauptstadt angekommen, wurde die Glocke unter Begeisterungsrufen der Schaulustigen auf einer Kutsche mit 16 weißen Pferden nach Westminster gezogen.
Weil die Glocke zu groß zum Schwingen war, sollte sie durch Anschlagen zum Läuten gebracht werden. Doch noch während am Boden Tests durchgeführt wurde (der Turm war noch nicht fertig), bildete sich durch den Hammerschlag ein Sprung. Streit über den Grund entfachte – und kurz darauf brannte das Feuer in den Öfen von Whitechapel Bell Foundry, jener Gießerei, die den zweiten „Big Ben“ goss.
Verstummt
Diese schlug am 11. Juli 1859 dann das erste Mal im Uhrturm – allerdings nur für ein paar Monate. Schon wieder hatte sich ein Riss gebildet. Die größte der Viertelglocken übernahm vier Jahre die Stundenschläge – bis Big Ben um 90 Grad gedreht und mit kleinerem Hammer ausgestattet, 1963 in Betrieb gehen konnte. Groß Ding braucht Weile.
Wer ein Foto vom echten Big Ben machen möchte, kann seit Kurzem wieder Tickets für den Elizabeth Tower erwerben. Nach den 334 Stufen auf der engen Wendeltreppe hat man beim Ankommen eventuell den Eindruck, dass die Glocke doch schwingt – zumindest bis sich der Drehschwindel legt.
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