Aufbruch zu einem neuen Konzil?
Ins politische und kulturelle Interesse hineingewachsen bin ich mit Pius XII., dem römischen Aristokraten, dessen Familie seit Generationen als Diplomaten und Anwälte in päpstlichen Diensten stand. Er wirkte und war streng, unbestechlich, hoch intellektuell – ein bewundernswerter Gegensatz zu manchen früheren „Schweinehunden“ auf dem Petrus-Thron. So hatte uns in Exerzitien in ungewohnter Sprache ein Benediktiner einige Renaissancepäpste geschildert. Auf die Idee, dass diese Kirche trotzdem reformierbedürftig war, wäre ich als 15-Jähriger nie gekommen.
Aber als Pius XII. starb, zeigte sich, dass ein 77-jähriger italienischer Patriarch genau darüber nachgedacht hatte und als Papst Johannes XXIII. ein Ökumenisches Konzil einberief. Ein solches hatte fast ein Jahrhundert zuvor die größte Machtanhäufung der Geschichte beim Papst beschlossen. Die Folge waren Verkrustungen und ein gewaltiger Reformstau, der sich beim Zweiten Vatikanischen Konzil zwischen 1962 und 1965 entlud.
Aufbruch
Erst jetzt dämmerte uns, dass in Österreich Kardinal Franz König längst Dinge praktiziert hatte, die in der Weltkirche noch gar nicht üblich waren: die Volksmesse, aber auch der Verzicht, über eine bestimmte Partei in die Politik hineinzuregieren.
Das alles machte uns stolz auf „unseren“ Kardinal König, der auch weltkirchlich Wichtiges bewegen half, und auf die Kirche, die plötzlich einen volkstümlichen Regenten hatte, der Freundlichkeit, Güte und Humor ausstrahlte, obwohl er „der sturste Konservative war, den Gott auf Erden geschaffen hat“, wie viele Jahre später Kardinal Silvio Oddi sagte und (ein wenig abschätzig) daran erinnerte, dass es in Roncallis Amtszeit in Venedig Priestern noch verboten war, ins Kino oder ins Stadion zu gehen oder mit einer Frau im Auto zu fahren.
Der bergamaskische Bauernsohn auf dem Papstthron war – wie übrigens auch Kardinal König – ein aufgeklärter Konservativer, der immer wusste, dass man Reformierbares rechtzeitig reformieren muss, um Bewahrenswertes zu erhalten. Drei Mauern habe Vaticanum II niedergerissen, schrieb Franz König im Rückblick: die Mauer zwischen Priestern und Laien, die Mauer gegenüber nicht-katholischen Christen und die Mauer zur Welt.
Offenbarung als sich entfaltende Selbstmitteilung Gottes, nicht als Fertigpaket, Verkündigung in verständlicher Sprache, Neuentdeckung der Bibel, Sexualität als Gottesgeschenk, freie Religionswahl, Anerkennung von dem, was auch in anderen Religionen „wahr und heilig ist“, klare Absage an Antijudaismus, Zugehen auch auf Nichtgläubige: Die Zugkraft dieser Ideen reichte weit über Kirchenkreise hinaus.
Die Sedisvakanz macht tapfer. Innerhalb weniger Tage nach dem Papstrücktritt forderten auch manche Kardinäle: Weg mit dem römischen Zentralismus, Kurienreform, mehr Verständnis für wiederverheiratete Geschiedene, Zölibatsreform. Ob man das einem neuen Konzil überlassen sollte, ist umstritten, vor allem nach den Bischofsernennungen der letzten 35 Jahre, die primär Konservative ins Amt spülten. Viele wollen abwarten, was ein neuer Papst unternimmt, ehe mit dem Risiko einer neuen Weltkirchenversammlung gespielt wird.
Neue Ideen
Rasch war auch von einer anderen Ausübung des „Petrusdienstes“ die Rede, zu der schon Johannes Paul Ratschläge erbeten, auch erhalten, diese aber nie veröffentlicht hatte. Oder Papstwahl auf Zeit, die der Gewählte selbst bestimmen kann? Oder gleich für eine fixe Funktionsperiode? Oder ein Papst nur fürs Spirituelle, ein Manager als Steuermann fürs Kirchenschiff?
Der Neue wird sich eine neue Mannschaft (möglichst von auswärts) suchen und die Vatikan-Bürokratie total umbauen müssen. Schafft das ein Nichteuropäer? Ein solcher würde wohl, sei er nun mehr oder weniger konservativ, anders an Probleme herangehen als wieder ein Gefangener der europäischen Mittelalter-Theologie.
Viele träumen von einem Papst, der keine Angst vor der heutigen Welt und ihrer Vielfalt hat: Sieben Milliarden Erdenbürger gegenüber 300 Millionen zur Zeit Jesu, Zehntausende verschiedene Religionen, ungezählte Beziehungs- und Lebensmuster, die keine Einheitsantworten mehr zulassen.
Die Kirchenleitung wird lernen müssen, was die in Gottes Schöpfung steckende Pluralität bedeutet. Ein südafrikanischer Minenarbeiter hat mit einer Spezialistin der südkoreanischen Elektronikindustrie oder einem österreichischen Hofrat wenig gemein. Außer das Menschsein.
Benedikt XVI. wurde einmal gefragt: Wie viele Wege gibt es zu Gott? Seine Antwort: „So viele Menschen es gibt.“ Also 7,119,221.025, und alle zwei Sekunden um fünf mehr. Es war vielleicht der schönste Satz des letzten Papstes. Und ein Programm für den nächsten.
Kommentare