Anwalt des „Austro-Taliban“ im Gespräch

Anwalt des „Austro-Taliban“ im Gespräch
Sechs Personen stehen unter Terrorverdacht. Lennart Binder, der Anwalt des „Anführers“, kritisiert die Anklage.

Ein Terror-Unterstützer oder frustrierter Gläubiger? Thomas A.-J. (26) ist für die Wiener Staatsanwaltschaft Mitglied einer Terror-Gruppe. Sein Verteidiger, Lennart Binder (63), hält die nun eingebrachte Anklage gegen ihn und fünf Verdächtige für absurd. Warum sein Mandant ein frustrierter Euro-Moslem und kein Austro-Taliban ist, erklärt Binder im Interview.

KURIER: Ihr Mandant schrieb als „Austro-Taliban“ Schlagzeilen. Was stört Sie so an der Bezeichnung?

Lennart Binder: Taliban hat für mich so eine negative Konnotation, als ginge es um einen Finsterling, der seine Frau schlägt und seine Tochter nicht in die Schule lässt.

Wie würden Sie ihn bezeichnen?

Als europäischen Moslem und Teil einer autochthonen Jugendbewegung, die aufgrund ihrer sozioökonomischen Lage frustriert ist. Mein Mandant ist ein Fan des Arabischen Frühlings.

Warum versuchte Ihr Mandant in ein Ausbildungslager für Terroristen zu gelangen?

Das ist absolut falsch. Das sind junge Leute, die ins Ausland wollten, um dort ein neues Leben anzufangen. Das hat einen starken antikapitalistischen Touch. Vom Anschluss an eine Terrorgruppe kann keine Rede sein. Es gibt genug historische Beispiele dafür, etwa die Protestanten auf der Mayflower, die dem Sittenverfall in Großbritannien davonfuhren.

Warum wollte er bei einer somalischen Miliz leben?

Es gab die Möglichkeit nach Somalia zu gehen, weil die Al Shabaab (Anm. eine radikalislamische Miliz) auf ihrer Homepage Leute eingeladen hat, aber als Siedler, nicht als Kämpfer.

Anwalt des „Austro-Taliban“ im Gespräch

Wie erklären Sie sich die Übersetzung von Hetzschriften, die Ihrem Mandanten angelastet werden?

Das waren Texte, die in den USA nicht beanstandet wurden. Sie stammen aus 2007. Zu dieser Zeit war der Autor noch nicht so radikal und lebte unbehelligt in den USA. Hier sieht man, wie schlampig gearbeitet wurde.

Warum überwies er 4000 Euro für einen Freund, der laut Staatsanwalt bei einer terroristischen Miliz war?

Nicht nur mein Mandant, auch der Vater des Jungen hat Geld überwiesen. Warum ist der Vater nicht angeklagt? Mein Mandant wollte seinem Freund, der in einer Koranschule war, helfen. Es ist ihm nicht eingefallen, bei einem Freund, dem er voll vertraut, nach dem „Wofür“ zu fragen. Er hat der Polizei gesagt: Wenn er es im Puff ausgegeben hätte, wäre es ihm egal gewesen.

Aber der Freund war angeblich für die Islamische Bewegung Usbekistan tätig.

Wer sagt das? Das ist eine Konstruktion. Diese Bewegung stellte ein Video online, auf dem der tote Freund zu sehen ist. Als das Video auftauchte, war mein Mandant in U-Haft. Das passt zeitlich nicht zusammen. Wer sagt, dass das Geld für die Miliz war?

Ursprünglich galt Ihr Mandant laut Medienberichten als „Schläfer“, der ein Flugzeug in den Deutschen Reichstag steuern wollte.

Ein anonymer Hinweis hat dazu geführt. Diese Person gibt es nicht. Wahrscheinlich wurde das Attentat, das nachweislich nicht geplant worden ist, erfunden, um meinen Mandanten einzusperren.

Wer soll ...

... eines möchte ich noch anmerken. So etwas habe ich noch nie erlebt: Als Beweis gegen ihn wird ein Selbstgespräch verwendet. Es gab in der ungefähr 40 Quadratmeter großen Wohnung viele akustische und optische Aufnahmegeräte! Er hat nachts noch am Computer gearbeitet, dabei herumgemurmelt und auch ein Mal die Stimme von Osama bin Laden nachgeahmt. Und das wird gegen ihn verwendet.

Sie werden im Prozess auch inhaltliche Fragen aufwerfen. Etwa, was ist legitimer Widerstand und was ist Terror?

Das ist eine wichtige Frage. Darf ich, wie mein Mandant, im Krieg in Afghanistan gegen die amerikanischen und deutschen Truppen sein?

Darf man?

Laut Anklage nicht. Laut Anklage ist man dann ein Terrorist.

Eine lange Liste an Vorwürfen

Thomas A.-J., 26, alias „Ismail“, wird in der noch nicht rechtskräftigen Anklageschrift vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Der KURIER berichtete in der Vorwoche als erstes Medium darüber. Mitangeklagt sind fünf weitere Freunde bzw. Bekannte des Wieners.

Die Vorwürfe: „Ismail“ soll versucht haben, in ein Ausbildungslager für Terroristen nach Somalia zu gelangen und soll ähnliche Reisen auch in seinem Umfeld organisiert haben. Außerdem soll er radikale Schriften übersetzt und einen Freund, der angeblich im Sold der Islamischen Bewegung Usbekistan stand, mit 4000 Euro sowie zwei Laptops und einer Kamera versorgt haben. Er gibt die Übersetzungen zu, bestreitet die Absicht, eine Terrorgruppe gefördert zu haben. Er habe einem Freund, einem ausgewanderten Wiener, geholfen.

Der zweifache Vater, der mit 15 Jahren zum Islam konvertierte, sitzt seit Juni 2011 in U-Haft. Medienberichte, wonach er auch ein Flugzeug in den Deutschen Reichstag steuern wollte, erwiesen sich als falsch.

Den insgesamt sechs Angeklagten, darunter vier Österreicher und zwei Afghanen, drohen bis zu zehn Jahre Haft. Die fünf anderen Beschuldigten gelten als Mitläufer. Sie sollen einem El-Kaida-Mann, der in Berlin angeklagt ist, Spenden übergeben, ihn weitervermittelt haben. Sie sollen auch in die Reisen in Terrorcamps verwickelt gewesen sein. Ein Prozesstermin steht noch aus.

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