Amanda Knox: Teufel, Engel, Medienstar

Perugia-Prozess: Nach dem Freispruch von Amanda Knox geht der Kampf um die öffentliche Meinung in die nächste Runde.

Kaum ist Amanda Knox in die USA heimgekehrt, treten englische Boulevardzeitungen die nächsten schlüpfrigen Details aus ihrem Leben breit. "Amanda Knox' Sex-Qualen im Gefängnis" titelte The Sun und zitiert aus einem angeblichen Tagebuch. Am Samstag bestätigte die 24-jährige Knox zumindest die sexuelle Belästigung eines Gefängnismitarbeiters, der sie eindringlich über ihr Sexualleben ausgefragt haben soll.

Die Stimmungsmaschinerie läuft also nach dem Freispruch munter weiter. Und die Boulevardmedien verdienen auch mit einer Amanda Knox in Freiheit gutes Geld.
Als sie am 6. November 2007 gemeinsam mit ihrem damaligen Freund Raffaele Sollecito festgenommen wurde, begann ihr zweifelhafter Aufstieg zum Cover-Girl der Boulevard-Presse. Tage zuvor wurde ihre Mitbewohnerin Meredith Kercher tot in der gemeinsamen Wohnung in Perugia aufgefunden. Die Britin lag halbnackt mit durchschnittener Kehle und mit 47 Messerstichen übersät unter einer Decke. Laut Anklage soll die 21-Jährige vergewaltigt und ermordet worden sein, nachdem sie sich geweigert hatte, an Sexspielen teilzunehmen. Knox und Sollecito galten als tatverdächtig, weil sie sich selbst belastet hatten. Ein dritter Beteiligter, Rudy Guede, flüchtete und wurde ein Monat später in Deutschland festgenommen.

Sex, Drogen und die Unschuld vom Lande

Obwohl es in dem Mordfall gleich drei Beschuldigte gegeben hat, wurde nur Knox zum Fressen für den Boulevard: eine junge, attraktive Angeklagte, eine Liebesgeschichte, Sex, Drogen und exzessive, rauschartige Gewalt waren die Zutaten, um aus der streng katholisch erzogenen Studentin die Femme fatale zu kreieren. Unvermittelt mutierte sie zum "Engel mit den Eisaugen", zum "Teufel im Engelsgewand" oder zur "Foxy Knoxy" (Heiße Knoxy). Sie wurde zum Projektionsbild sexueller Fantasien, zum Mädchen, das zwar aussieht wie die Unschuld vom Lande, deren kalt-blaue Augen aber andeuten, dass sie über Leichen gehen könnte.

Warum Amanda Knox' Frisur, Make-up, Kleidung und ihre weichen Gesichtszüge derart fokussiert wurden, erklärt der Wiener Medienpsychologe Peter Vitouch: "Wenn man solche Attribute vergeben kann, rundet es die Figur ab, macht sie interessant und bedeutsam. Das kann man natürlich besser vermarkten und erhöht im medialen Sinn Attraktivität und Aufmerksamkeit der Geschichte."

Parallelen zum Fall der Wiener Eissalonbesitzerin Estibaliz C. drängen sich auf. Die als "Eisbaronin" betitelte 32-Jährige wird für den Mord an zwei Männern verantwortlich gemacht. Das österreichische Medienecho war ähnlich wie bei Knox: "Engelhaftes Aussehen" und "schöne Augen" wurden der "Frau mit dem Erdbeermund" zugeschrieben. Vitouch sieht hier den Reiz am Widerspruch: "Man hängt dem Stereotyp an und sagt: Wenn eine Frau gut aussehend und zart ist, dann kann sie nicht böse sein oder zu Gewalttaten fähig, die besonders grausam sind und die auch körperlichen Einsatz brauchen. Wenn diese Argumente im Widerstreit stehen, dann ist das spannend und irritierend zugleich."

Brav oder teuflisch?

Schon in der ersten Instanz 2009 stand nur Knox im Mittelpunkt des weltweiten Medieninteresses. Je nach Stimmungslage wurde sie als braves Mädchen oder teuflisches Weib dargestellt, Fotomaterial mit der dazu passenden Mimik war massenhaft vorhanden. "Die Macht der Bilder, das ist abgegriffen, aber durchaus richtig. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", meint Medienpsychologe Vitouch, "ist die Fotoauswahl einigermaßen neutral, kann man sich selbst ein Bild machen". Und wenn sie tendenziell ist? "Naja, so funktioniert das Steuern der Meinung."

Trotz der Beteuerungen von Knox, von der Polizei mit Schlägen zu einer Falschaussage gedrängt worden zu sein, wurden sie und ihr Freund in einem Indizienprozess zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Rudy Guede, der dritte Beteiligte, war bereits zuvor in einem Schnellverfahren (findet in Italien Anwendung, wenn die Beweislage eindeutig ist, Anm.) verurteilt worden und sitzt nach wie vor hinter Gittern.

Der Neuauflage des Prozesses ging eine beispiellose, internationale Medien-, Lobbying- und PR-Kampagne voraus. Immobilien-Tycoon Donald Trump engagierte sich für Knox, eine Washingtoner Senatorin sprach von unzureichenden Beweismitteln, und selbst Außenministerin Hillary Clinton führte Gespräche in dem Fall. Amanda Knox' Eltern engagierten die US-amerikanische Public-Affairs-Agentur Gogerty Marriott , um den Boden für einen Freispruch aufzubereiten. "Unsere Arbeit für die Familie Knox", rühmt sich die Agentur auf ihrer Homepage, "brachte sie in Kontakt mit allen wichtigen US-Fernsehstationen - ABC , CBS , NBC , CNN und Fox News - und einer Menge nationaler und internationaler Zeitungen und Magazine." Eine Website wurde in mehreren Sprachen eingerichtet ( www.friendsofamanda.org ), und selbst Oprah Winfrey durfte mitmachen, um die zentrale Botschaft um den Globus zu schicken: "Amanda wird freikommen. Das ist eine beschlossene Sache."

Million Dollar Baby

"Weit über" eine Million Dollar (750.000 Euro) hat die Familie laut The Seattle Times für die Kampagne, die vielen Transatlantik-Flüge und die Unterkunft in Perugia ausgegeben. Die Eltern sollen dafür eine zweite Hypothek auf ihr Haus aufgenommen und Rücklagen angezapft haben. Der Vater des Zweitangeklagten Raffaele Sollecito, 27, ein wohlhabender Urologe, engagierte die bekannte Anwältin Giulia Bongiorno, die für die Partei Volk der Freiheit (ehemals Alleanza Nazionale) im Parlament sitzt.

"Haben Sie jemals einen Angeklagten gesehen, der eine große PR-Agentur anheuert?", fragte Staatsanwalt Giuliano Mignini die Geschworenen in seinem Plädoyer, "und das soll diejenige sein, die von den Medien ,gekreuzigt' wurde?" Der Chefankläger stand aber selber im Zentrum der Kritik: Im Jänner 2010, also mitten im Berufungsprozess, wurde er wegen Amtsanmaßung zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt. Seine Tätigkeit im Prozess konnte er nur fortsetzen, weil er das Urteil angefochten hat.

Dazu kamen haarsträubende Schlampereien der Ermittler bei der Spurensicherung. DNA-Beweise aus der ersten Instanz waren plötzlich verunreinigt und galten als nicht mehr aussagekräftig. Beweisstücke wurden unzureichend verwahrt oder tauchten erst nach Wochen wieder auf. Die Belastungszeugen der Anklage widersprachen sich mehrfach.
Freispruch im Zweifel also.

Ob Knox in den USA wieder Fuß fassen wird können, traut sich niemand zu sagen. Kapital aus ihrer Geschichte zu schlagen (der Sender Fox News schätzt ihren Marktwert auf zig Millionen Dollar), wird fast notwendig sein, um die Schulden ihrer Familie zu tilgen. Sie wird jedenfalls den Teufel tun, jemals wieder nach Italien zurückzukehren, um sich einer etwaigen dritten Verhandlung vor einem Kassationsgericht zu stellen.

Auf der Strecke in diesem unwürdigen Spektakel blieb das Opfer Meredith Kercher. "Vier Jahre ist es her, und jetzt dreht sich alles um Amanda Knox", sagte die 29-jährige Schwester, Stephanie Kercher, "meine Schwester ist das vergessene Opfer."

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