Rios Überraschungen und die Angst vor der Zukunft

Rio hat es geschafft. 17 Tage Olympia, 12 Tage Paralympics. Während Olympia mitunter für Frust sorgte - mit Mängeln im Olympischen Dorf, leeren Stadien und unfairen Zuschauern - überraschten die Paralympischen Spiele alle.

Von zunächst nur 300.000 Tickets kletterte der Verkauf auch dank reduzierter Preise bis zum Ende der Spiele für Sportler mit Behinderung auf mehr als zwei Millionen. "Familien brachten all ihre Kinder, ihre Großeltern mit, um dabei zu sein. Ein großartiger Erfolg", meinte der Präsident des Internationalen Paralympischen KomiteesPhilip Craven.

Doch Rio fürchtet bereits die Zeit danach. Der Olympia-Park im Stadtteil Barra war das Herz der Spiele, aber die Wege waren für viele beschwerlich: Barra liegt fast 40 Kilometer vom Zentrum entfernt.

Die Paralympics lebten vom Herz der Menschen, keine Schmähgesänge der Brasilianer gegen die Argentinier wie bei Olympia, als es sogar eine Schlägerei im Tennisstadion gab. Die Sportler wurden frenetisch angefeuert. Goalball-Spieler wurden vor der enormen Kulisse on 12.000 Zuschauern gefeiert. Tausende Volunteers in gelben und grünen Shirts bügelten mit ihrer Herzlichkeit so manche organisatorische Schwäche aus. Auch die langen Warteschlangen waren schneller bewältigt, aus Fehlern wurde gelernt - es gab viel Lob.

Für einen Schock sorgte allerdings der Tod des iranischen Radrennfahrers Bahman Golbarnezhad, der nach einem schweren Sturz während des Straßenrennens im Krankenhaus starb. "Die Paralympics-Familie ist vereint in Trauer über diese schreckliche Tragödie, die einen Schatten wirft auf die tollen Spiele in Rio", sagte Craven. Schon bei Olympia hatte es einen tragischen Todesfall gegeben: Der deutsche Kanu-Trainer Stefan Henze starb nach einem Unfall seines Taxis an seinen schweren Kopfverletzungen.

Ärger handelte sich IOC-Präsident Thomas Bach ein, der entgegen der Gepflogenheiten nicht zu den Paralympics kam. Er ließ aber heftig dementieren, dass dies mit dem Schwarzmarkt-Skandal um das IOC-Mitglied Patrick Hickey zu tun haben könnte, der Brasilien vorerst nicht verlassen darf. Die Polizei hat angeblich Fragen, weil der Ire nach einem veröffentlichten Email-Austausch zwischen Bach und ihm weit mehr Tickets für olympische Top-Events bekam als geplant. Die sollen dann zu Wucherpreisen angeboten worden sein.

Viele Touristen ließen sich aufgrund des schlechten Rufs von Rio von einem Besuch abschrecken. "Ich dachte, man kommt in eine Stadt von Mord, Totschlag und Zika", erzählte ein Diplomat. Es stimmt, Rio ist vielerorts gefährlich. Aber die meisten Touristen bekamen das kaum mit, das Sicherheitskonzept griff wie zur Fußball-WM.

In Sachen Zika wurde den Organisatoren im Ausland einfach nicht geglaubt. Schon die Zahlen der Dengue-Erkrankungen im August der Vorjahre zeigten: die Moskitos, die auch Zika übertragen, sind in dieser Zeit kaum aktiv. So wurde auch kein einziger Zika-Fall bekannt.

Abseits von Olympia und Paralympics ging die Gewalt in Favelas weiter, sie ist gestiegen. Während insgesamt rund 85.000 Polizisten und Soldaten mit der Sicherung der Spiele beschäftigt waren, flammten Kämpfe um die Vorherrschaft zwischen Drogengangs auf. Es gab mehrere Tote. In Rio fürchten die Menschen eine Zunahme der Gewalt in den Favelas, mehr Überfälle wegen Sparzwängen bei der Polizei, noch mehr Engpässe in Krankenhäusern und Bildungsnotstand.

Nur mit Notkrediten konnten Olympische und Paralympische Spiele gesichert werden. Der Bundesstaat Rio de Janeiro, der traditionell stark abhängig ist vom Erdölexport, ist fast pleite. Die Agentur Fitch hat ihr Rating für den Bundesstaat auf die absolute Ramschstufe "C" gesenkt - das heißt: hohes Ausfallrisiko, drohender Bankrott.

Daher besteht die Befürchtung, dass Rio Negativfolgen haben könnte wie Athen 2004 für Griechenland. Zugleich war Rio 2016 der Versuch, mit weniger Geld und Prunk Spiele zu organisieren (10,3 Milliarden Euro Gesamtkosten, fast zu 60 Prozent privat finanziert). Das IOC muss sich entscheiden, was es will: perfekte Scheinwelten oder bescheidenere Spiele. Rios Kapital sind eher die Musik und die Menschen.

Das positive Erbe: Der Olympia-Park soll zum großen Schul- und Leistungssportzentrum umgebaut werden. Bisher fehlen professionelle Strukturen, auch für den Behindertensport. Und rund zwei Drittel der Bewohner sind durch neue Metro- und Buslinien künftig an den Nahverkehr angeschlossen - doch die über 2,5 Milliarden Euro teure Metrolinie Richtung Olympia-Park nutzt vor allem den besser gestellten Menschen. Der Vorort Barra ist geprägt von der weißen Mittel- und Oberschicht.

Der weit ärmere Norden hatte von Olympia hingegen praktisch nichts. Die Menschen, die dort in riesigen Favelas leben, fürchten ein Anziehen der Gewaltspirale, gerade wenn Rio aus dem Weltfokus verschwindet. Fünf Kilometer vom Leichtathletikstadion ist eine der größten, der Complexo Alemao. Hier wird seit Wochen so viel geschossen, dass die Kinder sich kaum zur Schule trauen und im Unterricht Schüsse hören.

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