Ohren zu und durch

Es sollte dringend einmal erforscht werden, ob Noise-Canceling mit Kopfhörern nicht auch zu Heartbeat-Canceling führen kann.

In Bim, Bus und Bahn verschließen immer mehr Menschen ihre Ohren mit Noise-Canceling-Kopfhörern. Mittels Podcasts, Popmusik oder Pottwalgesang halten sich die Fahrgäste akustisch ihr Umfeld vom Leib. Es irritiert mich, wenn in einer Straßenbahn ein mit Ohrensilikon abgedichteter Bekannter meine Begrüßungsrufe nicht hört. Deswegen tauche ich zuverlässig wenige Zentimeter vor dessen Gesicht auf und winke. Meistens erschrickt dann dieser Bekannte. 

Kurz darauf erschrecke ich, weil sich der Bekannte so erschrocken hat. Es sollte dringend einmal erforscht werden, ob Noise-Canceling nicht auch zu Heartbeat-Canceling führen kann.

Doch die Cancel Culture kennt kein Ende. Online stieß ich auf Nasenlochstöpsel, welche Gerüche neutralisieren. Der eingebaute Filter soll sogar eine Leberkässemmel in einen Lavendelstrauß verwandeln. Diese Hightech-Stöpsel wären doch das optimale Weihnachtsgeschenk für jeden Klimaticketbesitzer. 

Nur her mit dem Canceln von Versalzenem

Natürlich wollen auch die anderen Sinne nicht mehr ungefiltert belästigt werden. Für Zungen gibt es bald mit Minibatterien betriebene Überzieher, die jeden versalzenen Vogerlsalat canceln bzw. geschmacklich in ein knuspriges Hühnerschnitzel verwandeln. Und auf der zugestöpselten Nase liegt dann eine Lesebrille, welche bei Whatsapp-Nachrichten unangenehme Wörter wie „Zahlungserinnerung“ oder „Elternabend“ automatisch verschwinden lässt. Somit befreit uns die Technik von der unangenehmen Seite der Welt.

Das Einzige, was dann vielleicht noch dem Lebensglück im Weg steht, wäre ein längerer Stromausfall. Ungefiltert trifft dann wieder die Wirklichkeit auf unsere Gemüter. In einem solchen Fall kann ich mir nur noch den Champion der Weltvermeidung zum Vorbild nehmen – den Vogel Strauß. Ich werde mir ein Loch buddeln, den Kopf in den Sand stecken, und auf meinem Rücken baumelt ein Schild mit der Aufschrift: „Bitte nicht stören! Analoges World-Canceling.“

Zum Autor: Klaus Eckel ist Kabarettist und Buchautor. Termine 2025 auf globe.wien

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