Zehntausende Menschen sind hier in den vergangenen Tagen über die Grenze aus Aserbaidschan gekommen. Es sind die Flüchtlinge aus der Bergkarabach, jener armenischen Enklave, die seit vergangener Woche de facto nicht mehr existiert. Aserbaidschans Truppen haben das seit Jahrzehnten umstrittene Bergkarabach in wenigen Tagen überrollt.
Der großteils armenischen Bevölkerung blieb nicht anderes übrig, als zu fliehen. Schon in den vergangenen neun Monaten haben viele Hunger und den Mangel sogar an lebenswichtigen Medikamenten erlebt. Aserbaidschan hatte alle Straßen in die Enklave abgeriegelt.
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Freiwillige Helfer
120.000 Menschen sind inzwischen in Armenien eingetroffen. „Viel zu viel für dieses kleine, arme Land“, meint Pater Andreas, „aber es ist unglaublich, wie viel Solidarität wir hier erleben dürfen.“ Aus dem ganzen Land kommen freiwillige Helfer hierher, nach Goris, bringen Essen, Kleidung und was sie sonst entbehren können.
Doch was den Menschen, die hier nach rund zwei Tagen Autofahrt in einer endlosen Kolonne eintreffen am meisten fehlt, ist ein Schlafplatz und Nachrichten darüber, wie es dem Rest der Familie geht. „Wir haben hier Kinder, die kommen mit ihrer Großmutter und wissen nicht, ob ihre Eltern noch leben“, schildert der Priester seine Eindrücke: „Es gibt keine Möglichkeit, Kontakt mit Bergkarabach herzustellen. Niemand weiß, was da drüben vor sich geht.“
Verhaftungslisten
Entsprechend schlimm sind die Gerüchte, die in dem Grenzort über die Lage in der verlorenen Heimat kursieren. Von Verhaftungen ist die Rede, aber auch von Dörfern, die die aserbaidschanische Armee umstellt und mit schwerer Artillerie beschossen haben soll. Menschen sollen geköpft worden sein, Hunderte stünden auf Verhaftungslisten. Überprüfen lässt sich all das nicht. Hilfe jedenfalls hätten die Menschen in Bergkarabach von niemandem bekommen, weder von der Armee Armeniens, noch von den in der Enklave stationierte russischen „Friedenstruppen“.
"Armenisches Leben auslöschen"
Auf den Videos, die unter den Flüchtlingen herumgereicht werden, sind Aufnahmen von Soldaten zu sehen, die in die Häuser der Armenier eindringen und alles kurz und klein schlagen.
Für den Exil-Armenier jedenfalls hat all das nur ein Ziel: „Die wollen alles armenische Leben in Bergkarabach auslöschen.“
Wie es mit ihnen weitergehen soll, in einem Land, das für so viele Flüchtlinge keinen Platz und keine Mittel hat, daran würde vorerst keiner denken: „Eine Rückkehr kann sich jedenfalls keiner vorstellen, wenn er es heraus geschafft hat. Die sagen mir alle nur, dass man dort nicht mehr leben kann.“ Nur ein Mädchen habe sich bei ihm nach ihrer Schule erkundigt, in der sie gerade erst angefangen hatte: „Die wollte wissen, wann sie wieder in ihre Klasse kann.“
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