Einst Konkurrent, jetzt Helfer
Die Antwort liegt nicht nur in der Invasion auf die Ukraine, die fast alle militärischen Reserven Russlands bindet – eine Intervention im Kaukasus wäre für die Streitkräfte kaum machbar gewesen. Der wichtigere Grund ist das liebe Geld: Moskau verfolgt in seinen Beziehungen mit den Ex-UdSSR-Staaten immer nur Eigeninteressen, hat darum trotz seiner medial immer propagierten Schutzmachtrolle Armenien gegenüber auch Konkurrent Aserbaidschan mit Waffen beliefert – wohl auch mit jenen, mit denen jetzt auf Armenier geschossen wurde.
Dass Armenien unter Premier Paschinjan versuchte, sich aus dem Orbit Moskaus Richtung USA wegzubewegen, zuletzt sogar gemeinsame Truppenübungen abhielt, sah man in Moskau freilich auch nicht gerne – und quittierte das mit demonstrativer Untätigkeit, als Aserbaidschan schon vor einiger Zeit begann, die Versorgung Bergkarabachs abzuklemmen. Die seit 2020 in Bergkarabach stationierten russischen „Friedenstruppen“, die eigentlich für Stabilität sorgen sollten, sahen dabei nicht nur tatenlos zu, sondern bereicherten sich auch noch am Elend der Menschen: Sie verkauften ihnen Produkte zu Wucherpreisen.
Moskau und Ankara gaben wohl Okay
Durch die westlichen Sanktionen, analysiert Osteuropa-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik auf X, sei Moskau zudem auf seinen ewigen Konkurrenten Aserbaidschan und auf dessen Schutzmacht Türkei angewiesen – als Handelspartner. „Russland braucht Aserbaidschan für den Nord-Süd-Korridor in den Iran und in die Türkei – als alternative Handelsroute und um die Sanktionen zu umgehen. Denn seit der Westen weniger Gas mehr aus Russland verkauft, ist Aserbaidschan einer der neuen, großen Abnehmer der Gazprom – und verkauft das importierte Gas auch weiter nach Europa. „Moskau war in diesem Konflikt nie auf der Seite Armeniens, es stand immer nur auf seiner eigenen Seite.“
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Meister mutmaßt auch, dass der aserbaidschanische Herrscher Alijew vor der Attacke das Okay aus dem Kreml bekommen haben muss. „Moskau und Ankara müssen sich über die Einnahme Bergkarabachs einig gewesen sein.“ Denn für Putin hat die Verdrängung der Armenier einen nicht unerwünschten Nebeneffekt: Die neue Achse USA-Armenien ist damit auch nicht mehr allzu viel wert.
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