Kia EV6: Heiß und Kalt im Auto des Jahres
Seit dem letzten Langstreckentest mit einem Kia EV6 GT-Line mit Allradantrieb ist einiges geschehen. Damals, auf zum Teil tiefverschneiten Straßen bei gestandenen Jänner-Temperaturen, musste sich der elektrische Koreaner noch als einer der sieben Kandidaten bewähren, die es auf die Shortlist der Wahl zum Auto des Jahres geschafft hatten.
Inzwischen haben sich nicht nur die Witterungs- und Straßenbedingungen entscheidend verändert. Der Kia EV6 darf auch als erstes Auto eines koreanischen Herstellers den prestigeträchtigen Titel "Car of the Year" tragen.
Grund genug, den Gegencheck zu machen und den Langstreckentest zwischen Wien und Kärnten mit einem Kia EV6 GT-Line Premium AWD bei sommerlichen Temperaturen zu wiederholen. Dabei galt es vor allem die Frage zu klären, wie sich die sommerlichen Verhältnisse auf die Reichweite auswirken. Mit anderen Worten: Setzen Minus-Temperaturen im Winter der Batterie mehr zu als eine stark geforderte Klimaanlage im Sommer?
Die eindeutige Antwort darauf lautet: Je nachdem.
Bevor hier in die Details eingetaucht wird, sei aber verraten: Ging sich die Strecke Villach - Wien via Südautobahn im Wintertest nicht ohne (wenn auch kurzem) Nachladestopp aus, so gelang es diesmal trotz mehr als 30 Grad Außentemperatur, ohne sich mit der Suche nach geeigneten Ladesäuen beschäftigen zu müssen. Dies obwohl der Bordcomputer bei zu 100 % vollgeladener Batterie ursprünglich nur 360 km Reichweite (mit eingeschalteter Klimaanlage) prognostizierte. Was für die auch im Winter befahrene 367 km lange Strecke wieder nicht gereicht hätte.
Im Laufe der Fahrt wurde die jeweils zur Verfügung stehende Rest-Reichweite aber immer wieder adaptiert. Und am Ende zeigte sich die Vollladung letztlich gut für knapp über 400 km. Dies - wie auch beim Winter-Test im Jänner - bei einem Tempo von 110 bis 120 km/h auf der Autobahn und einer auf 23 Grad Innentemperatur eingestellten Klimaanlage.
Womit wir bei den beiden entscheidenden Stellschrauben wären, mit denen die Praxis-Reichweite während der Fahrt beeinflusst werden kann.
Reichweiten-Beeinflussung
Schon alleine das maximal erlaubte Autobahn-Tempo erweist sich auf der Langstrecke als Reichweitenfresser. Der Unterschied zwischen konstant 110 km/h und 130 km/h macht auf der Teststrecke den entscheidenden Punkt aus: Entweder in einem Zug durchfahren (und sich da und dort gegenüber Sprinter, Ducato &Co. als rollendes Verkehrshindernis fühlen) oder aktiv im Autobahn-Fluss mitschwimmen und die gewonnene Zeit wegen eines dann notwendigen Ladestopps wieder verlieren.
Die andere Möglichkeit, sich einen Reichweiten-Bonus zu erarbeiten, besteht in der mit Bedacht bedienten Klimaanlage. Mit einem bereits an der Steckdose entsprechend heruntergekühlten Innenraum loszufahren, bringt etwa einen wesentlichen Vorteil. Und wie sich die allfällige Entscheidung, die Kältemaschine zwischendurch auszuschalten, auf die erzielbare Reichweite auswirkt, wird vom Bordcomputer so plakativ angezeigt, dass die Versuchung steigt, in dieses Optimierungs-Spiel einzusteigen.
Lade-Bandbreite
Ob früher oder später, irgedwann muss die 77,4-kWh-Batterie des Kia EV6 AWD wieder aufgeladen werden. Und auch hier zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen Winter- und Sommerbetrieb. Das liegt vor allem daran, dass die beste Ladeleistung nur dann erzielt wird, wenn der Batterieblock jene rund 25 Grad Temperatur hat, die ihm am besten zu Gesicht stehen. Und die sind weder bei Außentemperaturen im Minusbereich, noch bei brüllender Sommerhitze leicht zu erreichen.
In der Praxis hat sich dabei gezeigt, dass selbst bei Ionity-Schnelladesäulen beim winterlichen Langstreckentest die Ladeleistung nur zwischen 45 kW und maximal rund 90 kW lag. Im Sommerbetrieb zeigte der Bordcomputer sogar bis zu 217 kW Ladeleistung an. Was die Nachladezeit unterwegs natürlich entscheidend verkürzen kann.
Apropos Ladezeit: Die Technik des Kia EV6 ist ja darauf vorbereitet, bis zu 240 kW Ladeleistung aufzunehmen. Davon sollte man sich bei der Kalkulation der effektiven Ladezeiten nicht verblenden lassen. Denn wieviel Strom in welcher Zeit in der Batterie gespeichert werden kann, hängt nicht nur von der Temperaturfrage ab, sondern auch von dem, was die jeweilige Ladesäule gerade hergibt.
Zur Illustration der enormen Bandbreite, seien ein paar Praxisbeispiele zitiert.
- Von 21 % Ladestand auf 100 % an der Haushaltssteckdose (1,3 kW) veranschlagte der Bordcomputer 63 Stunden und 10 Minuten.
- Von 12 % Ladestand auf 100 % an der 11-kW-Ladesäule (effektiv nur 3,5 kW) standen 21 Stunden und 30 Minuten zu Buche.
- Von 25 % Ladestand auf 100 % an der DC-Schnelladesäule (226 kW) vergingen nur 46 Minuten. 80 % Ladestand war in 19 Minuten erreichbar.
Verbrauchs-Differenz
Ganz entscheidend verändert hat sich auch der Durchschnittsverbrauch zwischen Winter- und Sommereinsatz. Im Jänner bei Eis und Schnee und konstanten Minustemperaturen stand nach den rund 1.000 Kilometern des Langstreckentests ein Durchschnittsverbrauch von 25,6 kWh/100 km zu Buche.
Im Sommerbetrieb auf weitgehend identer Strecke sank der Praxiswert auf 19,2 kWh/100 km. Womit er sich bei realistischem Fahrprogramm ohne Komfortverzicht dem Normwert von 17,2 - 18,4 kWh weiter annäherte, als dies nach den Erfahrungen im Winter zu erwarten war.
Was einerseits zeigt, dass die neue Elektro-Plattform des Hyundai-Konzerns, die im Kia EV6 erstmals eingesetzt wurde, technisch mehr als auf der Höhe der Zeit ist.
Und anderseits, dass Elektroautos nach wie vor den Sommer vorziehen. Für den Einsatz im alpenländischen Winter fordern sie daher unmissverständlich eine Extraportion Strom.
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