Schnee, Eis und Kälte: BYD Seal im ersten Härtetest
Mit Eis unterlegte Schneefahrbahn und Minusgrade im zweistelligen Bereich.
Alpenländischer Winter eben.
Aber nichts, was man sich für den Betrieb eines Elektroautos gemeinhin wünschen würde. Wie die Erfahrung zeigt, liegen denen ja generell eher milde Sommertemperaturen (für die Batterie) und trockene Straßen (für die Traktion).
Umso interessanter war die Frage, wie sich ein chinesischer Newcomer bei solchen Bedingungen anstellt. Nicht zuletzt einer wie der BYD Seal, der es als erstes Modell eines Herstellers aus China auf die Shortlist der besten sieben Autos der Wahl zum europäischen Auto des Jahres geschafft hat (Car of the Year 2024).
Angetreten zum Wintertest ist ein BYD Seal Excellence AWD (Batteriekapazität 82,5 kWh, Spitzen-Leistung 390 kW / 530 PS, Listenpreis ab 50.990 € abzüglich Förderungen) mit einer theoretischen Reichweite von bis zu 520 km und einer maximalen Ladeleistung von bis zu 150 kW.
Soweit die Theorie bei Idealbedingungen. Aber da gehören zweistellige Minusgrade und verschneite Straßen definitiv nicht dazu.
Die Erkenntnisse aus einer Testwoche zwischen Wiener Stadtverkehr und Kärntner Bergstraßen mit dem BYD Seal mit Allradantrieb im Detail:
- Reichweite: Von den theoretisch möglichen 530 km waren bei der Übernahme in Wien trotz vollgeladener Batterie laut Prognose des Bordcomputers nur knapp über 400 km übrig. Die aber in der Langstrecken-Praxis erwartungsgemäß nicht reichten, um die rund 340 km lange Strecke zwischen Wien und Villach via Semmering und Bruck/Mur in einem Zug zu bewältigen. Trotz maximal Tempo 120 auf der Autobahn und Eco-Modus samt passiver Fahrweise und Außentemperaturen im niedrigen Plus-Bereich musste nach rund drei Vierteln der Strecke eine Schnellladesäule am Wegesrand angelaufen werden. Womit sich der BYD Seal in guter Gesellschaft des Großteils seiner bereits etablierteren Elektro-Konkurrenz befindet.
- Ladeleistung: Hier war alles dabei, was derzeit in diesem heiklen Kapitel zwischen Theorie und Praxis geboten wird. Die Bandbreite reichte von zwischenzeitlich nur 2,5 kW Ladeleistung (bei 44 % Batterie-Ladestand und Minus zwei Grad Außentemperatur) an einer 300-kW-Säule bis zu 121,8 kW (Ladestand 61 %) im selben Ladevorgang an der identen Säule. Mit Schuld an dieser exorbitanten Bandbreite dürfte neben der (von der Kundschaft nicht überprüfbaren) Lieferleistung der Ladesäule auch ein dem Fahrzeug zuzurechnender Umstand sein.
Die Vorheizung der Batterie, um die ideale Ladetemperatur von rund 30 Grad zu erreichen, lässt sich im BYD Seal (noch?) nicht via Navi-Eingabe des angepeilten Ladepunktes konditionieren. Sprich, der Zauber beginnt erst, wenn das Auto an der Säule hängt und das System erkennt, dass geladen wird und die Temperatur der Batterie besser sein könnte.
Oder wie es die immer noch krude Übersetzung des chinesischen Textes ins Deutsche auf dem Display im Cockpit ausdrückt: "Warmer tipp (sic!): Smartes Wärmemanagementsystem der Leistungsbatterie in Betrieb."
- Batterie und Kälte: Wesentlich besser schlug sich die von BYD selbst entwickelte Blade-Batterie im Fahrzeugboden bei der Kälte-Resistenz. Erlitten die Batterien anderer aktueller E-Autos bei ähnlichen Verhältnissen (zweistellige Minusgrade, Auto die Nacht über im Freien geparkt) Kapazitätsverluste von bis zu zwei Prozent, so zeigte sich die Blade-Batterie im BYD Seal unbeeindruckt.
Und das sowohl bei einem Ladestand von 40 %, als auch bei 90 %. Beide klirrend kalten Nächte steckte sie weg, ohne in der Früh einen verringerten Ladestand aufzuweisen.
- Traktion Hier musste sich der elektrische Allradantrieb des BYD Seal (via bei Bedarf zugeschaltetem Vorderachs-Motor) bei extremen Verhältnissen beweisen. Die wenig befahrene Kärntner Bergstraße mit ungestreuter Schneefahrbahn samt partiell eisigem Untergrund und mehreren Steilstücken nach engen Kehren meisterte die sportliche chinesische Limousine in situationsbedingter Bedächtigkeit, aber ohne stecken zu bleiben.
Grundvoraussetzung für die Bewältigung solcher Etappen ist jedoch, die Taste mit dem Schnee-Symbol neben dem Fahrtrichtungsgeber auf der Mittelkonsole rechtzeitig zu drücken. Damit wird nicht nur der Antrieb der Vorderachse permanent aktiviert, auch die elektronischen Fahrhilfen gehen sensibler ans Werk bei der Verteilung der Antriebskraft.
Bei solchen Fahrbedingungen darauf zu warten, bis die Sensoren Schlupf an der Hinterachse erkennen und die Algorithmen der Antriebssteuerung ihre Schlüsse daraus ziehen, führt eindeutig nicht ans Ziel. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Auf der Bergabfahrt erwies sich die via Bordcomputer-Menü anwählbare stärkere der beiden Rekuperationsstufen des E-Antriebs als sehr hilfreich. Damit lässt sich das Tempo auch auf rutschigem Untergrund leichter und kontinuierlicher kontrollieren, als mit dem Tritt auf die Bremse.
- Fazit Der BYD Seal zeigte sich in dem winterlichen Härtetest von einer überraschend soliden Seite, was die Bereiche Fahrwerk und Antrieb betrifft.
Dass die Bordelektronik nach wie vor stark verbesserungsfähig ist, steht auf einem anderen Blatt. Dabei reicht die Bandbreite von der Ladelogistik der Batterien bis zur grottenschlechten automatischen Verkehrszeichen-Erkennung und den damit verbundenen, ebenso schnell nervtötenden wie oft auftretenden falschen Alarmmeldungen.
Dass die elektronischen Besserwisser an Bord vor "komplexen Fahrsituationen" warnen, wenn eine kurvenreichere Strecke ansteht, geht da fast schon als unfreiwilliges Unterhaltungsprogramm durch.
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