Autonomes Fahren: „Da würde die Komplexität explodieren“

Autonomes Fahren: „Da würde die Komplexität explodieren“
Rund 500 hochrangige Experten tagten in Wien, um weltweite Standards zu schaffen.

„Auch wenn die Leute glauben, dass es bereits selbstfahrende Autos gibt – so weit sind wir noch lange nicht“, stellte Thomas Müller, bei Audi für das autonome Fahren zuständig, auf der Tagung „The Autonomous“ in Wien fest. Zumindest gibt es diese Autos nicht serienmäßig. Sie wären auch gesetzlich verboten. Um dies zu ändern, trafen sich rund 500 hochrangige Experten aus aller Welt auf Einladung der Wiener Firma TTTech Auto (siehe Zusatzartikel) in der Wiener Hofburg.


Autonomes Fahren: „Da würde die Komplexität explodieren“

Audi hat mit diesen Problemen Erfahrung: 2017 stellte der Konzern als Erster mit dem Staupiloten im neuen A8 ein Auto der Automatisierungsstufe 3 auf der fünfteiligen Skala (siehe Zusatzartikel) vor – doch die europaweite Zulassung für den Betrieb auf öffentlichen Straßen fehlt bis heute. „Es gibt derzeit für Europa kein Fahrzeug, das ein System der Automatisierungsstufe 3 bietet“, so BMW-Vorstand Klaus Fröhlich. Einige wurden entwickelt, aber sie sind verboten.

-Normen Die größte Hürde für die Serientauglichkeit ist die Standardisierung, waren sich die meisten Fachleute einig. „Wie in der Luftfahrt müssen für das autonome Fahren gemeinsame technische Standards, Rechtsvorschriften und Prozesse festgelegt werden, um aus vergangenen Vorfällen zu lernen und künftige zu vermeiden“, meinte Georg Kopetz, Mitbegründer von TTTech Auto. Wichtig sei es, rechtzeitig an einer weltweiten Vereinheitlichung zu arbeiten, um nicht ein Chaos wie bei den E-Auto-Steckern zu wiederholen, so Müller von Audi.

-Testaufwand Es geht um sehr viel Geld. Allein der Testaufwand gegenüber heute ist bei einem selbstfahrenden Fahrzeug um ein Vielfaches höher: Beträgt der Testaufwand heute für ein neues Modell 5 Mio. km, so sind es bei einem selbstfahrenden Auto 240 Mio. km. Zwar können 95 % davon virtuell erledigt werden, aber die restlichen 5 %, das sind 12 Mio. km, sind auf der Straße abzufahren, so Fröhlich.

Autonomes Fahren: „Da würde die Komplexität explodieren“

-Technik Es fehlt aber auch an der Technik: Für den Autobahnpiloten, den BMW 2021 einführen will, wird ein Laser-System (Lidar) benötigt, das ein 9 cm großes Hindernis auf 100 m Entfernung erkennt. Fröhlich: „Das gibt es noch nicht.“

Auch Reinhard Ploss, Infineon-Chef, stellte die Frage: „Reicht der Fortschritt, um das bringen zu können, was Kunden erwarten?“ Bei eigenen Fehlern seien Menschen viel toleranter als bei der Technik: Da gebe es null Fehlertoleranz. Um diese Ansprüche zu erfüllen, würden aktuelle Vorschriften wie ISO 26262 nicht reichen.

Ploss warnte davor, die Luftfahrt als Beispiel für den Autoverkehr zu nehmen: „Da würde die Komplexität explodieren.“ Schon heute sei die Gefahr groß, sich in heilloser Komplexität zu verlieren. Laut BMW erzeugt ein Auto der Automatisierungsstufe 4, das in manchen Zonen ohne Lenker fährt, in acht Stunden 96 Terabit an Daten!

-Kosten Laut Ploss von Infineon könne man diese Komplexität durch eine solide, skalierbare Elektronikarchitektur und entsprechende Zentralrechner in Griff bekommen. Diese dürften aber trotzdem nicht zu teuer sein. Gleichzeitig müsste aber auch für so profane technische Probleme wie Kurzschlüsse vorgesorgt werden und erst recht für Hackerangriffe.

Bleibt die große Frage, womit traditionelle Autohersteller künftig mit autonomen Fahrzeugen ihr Geld verdienen wollen. „Statt Autos werden künftig Kilometer verkauft“, glaubte Karl Iagnemma von Aptiv, einer Abspaltung des Zulieferers Delphi.

Martin Varsavsky, US-Großinvestor, stellte die Gefahr des Nokia-Effekts für die traditionelle Autoindustrie in den Raum. Nokia hat eine Innovation falsch eingeschätzt, das Smartphone, der Rest ist Geschichte.

-Ethik Kunden und Politiker in Europa treibt vor allem eine Frage um: Wen soll ein selbstfahrendes Auto überfahren, wenn ein Unfall unvermeidlich ist? Stefan Poledna, Mitbegründer von TTTech Auto: „So weit sind wir noch lange nicht.“ Nur eines ist laut der Experten schon jetzt klar: Null Unfälle wird es auch mit autonomem Verkehr nicht geben.

Je nachdem, ob die Stufe 0 zählt, gibt es laut EU und USA fünf oder sechs Stufen bis zum vollautonomen Fahren.

  • Stufe 0: Fahren ohne Fahrassistenz.
  • Stufe 1: Manuelles Fahren mit Fahrassistenz, z. B. mit ESP (Stabilisierungsprogramm).
  • Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren, z. B. mit aktivem Spurhalteassistenten, der den Pkw in der Spur hält, der Fahrer muss aber  regelmäßig das Lenkrad berühren und behält die Kontrolle.
  • Stufe 3: Hochautomatisiertes Fahren. Das Auto lenkt, bremst, beschleunigt selbsttätig, der Lenker muss nur „wahrnehmungsbereit“ bleiben. Beispiel: Audis Staupilot.
  • Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren. Das Auto kann autonom fahren – aber nur in gewissen Bereichen, z. B. auf der Autobahn oder in Parkgaragen. 
  • Stufe 5: Vollautonomes Fahren, ohne Lenker.

Global müssen für das autonome Fahren die Zulassungs- und Straßenverkehrsrechte geändert werden.

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