Wo ist die breite Brust?

Ein Porträt von Wladimir Putin vor einer russischen Flagge.
Europa sitzt vor Wladimir Putin wie das Kaninchen vor der Schlange – und der hat zu seinem Verbrechen auch noch den Spaß
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

In einer idealen Welt sagt Robert Habeck nicht laut, dass im Falle eines Gaslieferstopps aus Russland besser die Haushalte als die Industrie auf Versorgung verzichten; spricht Harald Mahrer nicht von „nicht zu Ende gedachten Sanktionen“ gegen Russland; fragt Armin Wolf nicht fast täglich einen Energieexperten, wie’s sein wird, wenn die Energie nimmer sein wird (und ein verhaltensauffälliger Ex-Bild-Chefredakteur sondert nicht Sätze ab wie „Kinder müssen wegen der Gaskrise bald durch unbeleuchtete Straßen, auf denen Männer ohne Arbeit rumlungern“).

In einer idealen Welt werden Vorkehrungen für den Fall, dass aus Russland tatsächlich kein Gas mehr kommt, in hoch konzentrierten/kompetenten Notfallgremien geschmiedet, ohne sie vor dem Eintreten des Falles breit in der Öffentlichkeit zu wälzen.

Denn in Moskau sitzt einer, der lacht sich den Buckel krumm über die Europäer, die wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen. Ein Zischeln da, eine Andeutung dort, „wir können den Gasfluss nicht garantieren“ (© Gazprom) – und schon bebt der alte Kontinent.

Derweil Wladimir Putin mit breiter Brust verkündet, dass die Sanktionen des Westens Russland nicht im Mindesten kratzen, sondern nur stärken. Das stimmt zwar nicht, ist aber an der Psychokriegsfront ein effektiver Trick.

Das alles verdreht zunehmend Ursache und Wirkung. Man kann es nicht oft genug in Erinnerung rufen: Nicht Europa hat die Ukraine überfallen, hat Theater, Einkaufszentren, Wohnhäuser zerbombt und Millionen in die Flucht getrieben, auf dass der Terror die politische Führung zur Aufgabe zwingt, sondern Wladimir Putin hat es getan. Nicht weil er sich ernsthaft von der NATO-Erweiterung nach Osten bedroht fühlt, wie Putin-Versteher Lügen des Kreml-Chefs gerne nachbeten. Sondern weil er die Geschichte umschreiben, „russische Erde zurückholen“ will, wie er unter Verweis auf Zar Peter den Großen sein Ziel definiert – der Zerfall des Sowjet-Imperiums ist Putins Trauma.

Der Westen unterstützt die Ukraine, wo er kann, und hat gegen Russland Sanktionen verhängt – mehr geht nicht, wenn er nicht in eine militärische Konfrontation schlittern will. Zur Partei gemacht hat er sich damit. In (Rohstoff-)Abhängigkeit von Russland hat er sich viel früher begeben. Und dass Russland das eine mit dem anderen verknüpfen würde, war abzusehen.

Aber was wäre die Alternative gewesen bzw. ist die Alternative? Zusehen, wie einer im 21. Jahrhundert massenmordet, und die Hand ausstrecken, welche Kompromisse man ihm für ein Ende des Mordens anbietet? Und für ein bisschen Gas. Ernsthaft? Und mit der historischen Erfahrung, die wir mit anderen Massenmördern haben?

In einer idealen Welt würde der Westen mit breiter Brust stehen, statt sich zu Tode zu fürchten. Aber in einer idealen Welt gäbe es auch einen Verbrecher wie Wladimir Putin nicht.

Porträt eines Mannes mit Brille und blauem Sakko vor dem Schriftzug „Kurier Kommentar“.

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