Wiederaufbau oder Neustart: Es ist höchste Zeit für eine Debatte

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Es reicht nicht, die Zukunft nur in 14-Tagen-Schritten zu vermessen. Jetzt ist auch die Zeit für die nötige Debatte über Langfristiges.
Georg Leyrer

Georg Leyrer

Man kennt das (leidvoll!) aus dem Homeschooling: Manche Rechnung will und will sich nicht ausgehen. Dieses verdammte „x“, das nur wirre Summen ergibt, das war in unser aller Lebensrechnung zuletzt das Coronavirus.

Auch für jene, die es sich schon superbequem in der eigenen Weltsicht gemacht hatten, wollte sich dieser unsichtbare Angstmultiplikator, dieser stille Auseinanderdividierer nicht lösen lassen: Die Formeln, in die wir unser Leben eingepasst hatten, sie griffen nicht mehr. Sicherheiten lösten sich in Luft auf, Vertrautes wurde wegdistanziert. Wir sind plötzlich mitten drin in einer Gleichung mit lauter Unbekannten. Es ist wie jener Albtraum über die unschaffbare Mathematikmatura, der immer wieder in der Nacht vorbeischaut.

Jetzt aber ist es bald Zeit zum Abgeben: Die erste Welle ist vorbei, und recht unpädagogisch wird einem zugeflüstert, dass die nächsten Aufgaben noch schwieriger sein werden.

Daher gilt es jetzt, sich aus diesem Alb freizuschütteln, und sich daran zu erinnern, dass man ja glücklicherweise kein Schüler mehr ist. Und dass man den Aufgaben, die das Erwachsenenleben stellt – auch den schwierigsten –, aktiv begegnen kann: Denn man kann sich dazu entscheiden, was das Ergebnis sein soll. Als Einzelner, als Gesellschaft.

In welche Richtung also der bevorstehende Neustart führen soll, darüber gilt es jetzt eine Debatte zu entfachen, und zwar eine tief greifende, gerne auch heftige.

Denn es ist eine Generationenchance, die man besser nicht verschenken sollte: Wenn alles durchgeschüttelt ist, kann man es wieder aufbauen – oder neu zusammenfügen. Wie, darüber gilt es, Einigung zu erzielen. Wie und wo wollen wir arbeiten? Wo schaffen wir Debattenorte? Was ist die Moral von der Coronag’schicht? Werden wir mitleidiger oder verschlossener, fatalistischer oder ängstlicher, auf andere (EU) beleidigt oder, gegen hohle Versprechungen herdenimmunisiert, gar Weltbürger?

Dafür ist die Zeiteinteilung der Virologen ein ungeeigneter Maßstab: In jeweils 14 Tagen wissen wir zwar, ob die Anticoronamaßnahmen immer noch greifen. Aber nicht, ob wir die Zukunft, in die wir uns bewegen, auch wollen. Es gilt, größer und längerfristiger zu denken, so lange wir eine Ruhepause vom Virus haben.

Die Gefahr ist, dass allzu bald die alten Muster wieder einschnappen. Im Politischen passiert schon wieder, was man von vor der Krise kennt: Die Türkisen hören die Sirenengesänge zu großer Macht, die SPÖ ist mit der SPÖ beschäftigt, die Grünen schauen manch einstiges Ideal verwirrt an, und die FPÖ will das Virus zum Ausländer machen. Man zeigt mit dem Finger, auf die EU, aufeinander. Ist das alles? Diese Gleichung mit lauter Bekannten wäre als Ergebnis für das große gesellschaftliche „x“, das wir suchen, eine bittere Enttäuschung.

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