„Wie Russland dämonisiert wird“

„Wie Russland dämonisiert wird“
Fall Nawalny: Der Kreml will mit der Vergiftung des Oppositionellen nichts zu tun haben. Im Text argumentiert der russische Botschafter in Wien, warum.

Prolog. In einem Flugzeug über dem unermesslichen Sibirien wird es einem selbst ernannten Korruptionsbekämpfer (mit intransparenten Informations- und Finanzierungsquellen), Blogger N. übel. Russische Piloten machen eine Notlandung in Omsk, der mit COVID-Meldungen überforderte Rettungsdienst bringt ihn sofort ins Krankenhaus, auf der Intensivstation landet er im künstlichen Koma, Ärzte ziehen ihn ganz professionell aus dem Jenseits, stabilisieren seinen Zustand.

Und dies wird in der ganzen Welt bereits mitverfolgt! Das Politikum mischt sich ein, man erlaubt, den Patienten N. aus Russland zu transportieren, vereinbart umgehend einen Sonderflug, übergibt die medizinische Daten der Charité in Berlin.

Gott sei Dank findet Herr N. wieder zu seinem Normalzustand zurück (traumhaft schnell für eine „Vergiftung“ solcher Art). Aber noch zuvor erschallt wie eine Beschwörung das magische Wort „Nowitschok“, das fast jedem im Westen bekannt ist. Wie ein österreichischer Politiker zurecht bemerke, könne dieser Giftstoff nicht in der nächsten russischen Drogerie besorgt werden (apropos, chemische Waffen wurden in Russland 2017 vollständig vernichtet, was auch von der OPCW zertifiziert wurde).

Und die allmächtigen russischen Geheimdienste, die angeblich Wahlergebnisse in jeder Ecke der Welt locker bestimmen können, haben es erstaunlicherweise vergessen, das Hotelzimmer des Patienten N. in einer anderen sibirischen Stadt Tomsk sauber zu räumen, in dem er von diesen „vergiftet sein sollte“. Dabei haben sie das aber so filigran gemacht, dass keiner in der Nähe zu Schaden gekommen ist.

Folglich ist der Kreml schuld, etwas anderes kann man sich nicht ausdenken! Der Giftstoff wurde in einem unzugänglichen Bundeswehrlabor entdeckt (weder im Krankenhaus in Omsk, noch in der Charité wurden seine Spuren gefunden!). Das Labor soll so streng geheim sein, dass wir euch nicht sagen dürfen, was und wie dorthin gelangt ist, auch keine dokumentierten Beweise werden wir vorlegen. Der Schuldspruch ist gefallen!

Bleibt nur eine Kleinigkeit – das „Geschworenengericht“ EU-27 trifft, ohne etwas zu erklären, die Entscheidung über Personalsanktionen. Das Theater des Absurden, der Vorhang fällt!

Epilog. „Der kollektive Westen“ – immer der weiseste, demokratischste und sich für berechtigt haltende, andere zu belehren. Er glaubt immer an die Unfehlbarkeit seiner Einschätzungen und Geheimdienste.

Wir sind gezwungen allen Interessierten ein wichtiges Geheimnis zu lüften: Herr N. ist unendlich weit von der russischen Gesellschaft in ihrer absoluten Mehrheit entfernt. Schafft euch kein imaginäres Idol, das auf keinen Fall eine Ikone der russischen Demokratie ist, und drängt niemand sein Opferimage auf!

Der Raum für Dialog und Zusammenarbeit ist von russischer Seite da. Aber nur auf Augenhöhe. Sonst riskiert die kommende Periode der Russland-EU Beziehungen zur großen Enttäuschung der Geschäftskreise unserer Länder erneut zum Jahrzehnt der verpassten Möglichkeiten zu werden.

Dmitrij Ljubinskij ist Botschafter der Russischen Föderation in der Republik Österreich.

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