Wer heute mit einem Gehalt eine Familie erhalten kann, dem ist herzlich zu gratulieren

Wer heute mit einem Gehalt eine Familie erhalten kann, dem ist herzlich zu gratulieren
Der große Teil kann davon nur träumen. Warum wir den von der ÖVP angekündigten Ausbau der Kleinkindbetreuung dringend brauchen.
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Die Volkspartei hat spektakulär dazu gelernt. Wer sich an den nachlässigen Umgang mit Kindergärten in der ersten Phase der Pandemie zurückerinnert, findet sich verdutzt in einer neuen Zeit wieder: Die Regierung kündigt weitere Milliarden für die Kinderbetreuung an und das christliche Tirol geht als erstes Bundesland voran: Ein rechtlicher Anspruch auf Kleinkinderbetreuung kommt.Dieser Schwung ist mehrfach zu begrüßen: Die Kinderbetreuung am Land ist eine der großen Schwachstellen unserer Gesellschaft. Immer noch wird die Betreuung der Kinder vor dem Volksschulalter an die Familien delegiert – und da vor allem an die Frauen. Je finanzschwächer die Familien sind, desto klarer ist das Bild: Mama bleibt daheim und hangelt sich dann mit Teilzeitjobs in Richtung Altersarmut. Kombiniert man dies mit migrantischem Background, geht damit den Kindern nicht nur soziale Kompetenz verloren, sondern auch der erste und wichtigste Schritt zum Spracherwerb.

Porträt eines Mannes mit Brille vor dem Hintergrund „Kurier Kommentar“.

Philipp Wilhelmer

Wer nicht mit Deutschkenntnissen in die erste Klasse kommt, hat ein Defizit, das den Lebenslauf vorbestimmen kann. Im Land der fehlenden Fachkräfte und der vererbten Bildungsgrade ist das nicht nur eine individuelle Grausamkeit gegenüber betroffenen Buben und Mädchen. Es ist für das Land nicht mehr leistbar.

Wer mehr sein will als Hilfskraft oder Foodora-Fahrer, muss sich im Bildungssystem zurecht finden – auch Lehrlinge brauchen Grundkenntnisse, bevor sie in Tischlerwerkstätten, in technischen Berufen oder in Dienstleistungsjobs Fuß fassen.

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Das Thema geht auch Besserverdiener an: Wer heute mit einem Gehalt eine Familie erhalten kann, dem oder der ist herzlich zu gratulieren. Der große Teil der Mittelschicht kann davon nur träumen.

Tirol will künftig den Familien einen ganzjährigen, ganztägigen Betreuungsplatz für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr garantieren. Das soll in drei Jahren gesetzlich verankert sein.

Vor allem das Wort „ganztägig“ hat in dem Zusammenhang einen revolutionären Sound. Eine prominente Entscheidungsträgerin in einem 60-Stunden-plus-Spitzenjob hat kürzlich in kleiner Runde eine Anekdote zum Besten gegeben, die sprachlos machte: Ihre Heimatgemeinde hatte ihr abgeraten, den Nachwuchs auch am Nachmittag in den Kindergarten zu geben – das Kind sei dort das einzige, wurde gewarnt.

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Die Frau ließ das nicht so stehen und fragte bei den anderen Eltern nach. Mehrere hatten denselben irreführenden Hinweis erhalten. Mächtige wissen sich gegen eine zynische Verwaltung zu wehren. Diese absurden Schwellen müssen endlich flächendeckend abgebaut werden.

Dass auch die konservative ÖVP das erkannt hat, ist erfreulich. Wir harren gespannt auf die Umsetzung.

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