Verlorene Generation? Blödsinn!

Verlorene Generation? Blödsinn!
Statt flügge zu werden, wurden die Jugendlichen durch die Pandemie zurück ins Nest gedrückt. Höchste Zeit, sie fliegen zu lassen
Ulrike Botzenhart

Ulrike Botzenhart

Die Pandemie hat seit März 2020 unser aller Leben komplett auf den Kopf gestellt. Diesen Satz werden alle unterschreiben. Die Einigkeit hat aber sofort ein Ende bei der leidigen Debatte, wer am meisten darunter gelitten hat oder leidet. Tatsächlich ist die Liste lang – von Covid-Todesopfern und ihren Familien über Langzeit-Patienten hin zu allen, die ihre Lebensgrundlage, ihren Lebensmut verloren haben; alte Menschen, die durch Corona über viele Monate in herzzerreißende Einsamkeit gezwungen waren; Familien, die durch Homeoffice, geschlossene Schulen und Distance Learning die Grenzen ihrer Belastbarkeit überschritten haben; und alle anderen, die guten Grund zur Klage haben.

Trotzdem: Es sind die Kinder und Jugendlichen, auf die wir unser Augenmerk legen müssen. Das ist schon lange überfällig. Nicht, weil sie eine „verlorene Generation“ sind. So ein Blödsinn! Nein, verloren ist hier nichts. Geschenkt wurde ihnen nichts, auch nicht den Maturanten 2020 und 2021, um das klarzustellen. Durchhaltevermögen, Selbstorganisation und den Wert von Freundschaft und Zusammenhalt, diese Lektionen haben viele gelernt – sofern ihnen ihre Lebenssituation eine Chance dazu gab.

Nicht wenige Kinder und Jugendliche stecken in ernsthaften Lebenskrisen, bedürfen dringender Hilfe, sind gar suizidgefährdet. Ein Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist akut nötig. Sofort.

Doch es muss nicht um Leben und Tod gehen, um ernst genommen zu werden. Man denke an kleine Kinder, die ihre fröhliche Selbstverständlichkeit verloren haben, mit Oma, Opa oder anderen Kindern zu spielen, zu kuscheln, zu rangeln.

Oder an Schulkinder, die das gemeinsame Lernen, Singen, Turnen, Lachen, Blödeln schmerzhaft vermissen. Kein Turnen, Singen, keine Ausflüge, Wandertage, Projektwochen, Skikurse, Schulfeiern, Maturareisen. Nichts. Schule reduziert auf Stoff. Dass das wütend, frustriert und lernunwillig macht – wen wundert das? Alles gestrichen, was Spaß macht und zu diesen prägenden Jahren gehört. Diese bittere Erfahrung teilen alle Jungen, egal, ob in Schule oder Lehre. Statt Sturm und Drang, Party und erstes Liebesglück/Liebesleid verbrachten sie Monate zu Hause vor dem Computer oder Smartphone. Statt flügge zu werden, zurück ins Nest gedrückt.

Ja, die Lage hat sich entspannt. Aber Freiheit fühlt sich anders an, unbeschwert ist nichts, so lange die Jungen nicht geimpft sind und nur getestet zum Sport, ins Konzert, Lokal oder auf Reisen gehen dürfen. Womit wir bei der für Eltern und Kinder wohl nicht immer so klaren Impffrage sind. „Natürlich will ich sofort geimpft werden und nicht mehr warten!“, drängt mein 13-jähriger Sohn. Leben. Jetzt.

Ein Gefühl, das alle eint.

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