Van der Bellen im ORF: Eine irritierende Anbiederung
Es könnte eine für den Amtsinhaber unangenehme Premiere werden: Alexander Van der Bellen zittert davor, als erster Bundespräsident der zweiten Republik beim zweiten Antritt in die Stichwahl zu müssen. Seine immerhin sechs Gegenkandidaten könnten dafür sorgen, dass er im ersten Wahlgang nicht die erforderliche Hürde von 50 Prozent der Stimmen überspringt. Das passt so gar nicht ins Bild vom Präsidenten "für alle".
Van der Bellen muss daher um jede Stimme kämpfen und sich den Sympathisanten aller Parteien andienen - mit durchaus überraschenden Auswüchsen: In der finalen ORF-Kandidatenrunde am Donnerstagabend sandte der Bundespräsident Signale an konservative und rechte Wähler.
Dass er die Chat-Affäre der ÖVP, die zu Ermittlungen gegen mehrere Politiker und einem U-Ausschuss führte, als "interne Angelegenheit der ÖVP" abtat, überraschte nicht nur Zuseher, sondern auch die ORF-Interviewer.
Doch Van der Bellen ließ sich auch auf Nachfrage nicht irritieren: In den Chats seien Formulierungen vorgekommen, die ihm missfielen. "Da kann ich nur sagen: 'Leute, erinnerts euch an simple Höflichkeitsformeln'", meinte Van der Bellen. Die Chat-Affäre als Fall für Thomas Schäfer-Elmayer, mehr nicht? Von seinem "So sind wir nicht" (anlässlich des Ibiza-Videos) war Van der Bellen nie weiter entfernt als in diesem Moment.
Oder doch: Der Justiz, die rund um die Chat-Affäre ermittelt, richtete Van der Bellen sogar aus, "langwierige Verfahren abzuschließen". Derartiges hörte man bisher nur von ÖVP-Politikern. Ob er seinen grünen Parteifreunden, die gemeinsam mit der Opposition im U-Ausschuss das Thema seit Monaten am Köcheln halten, damit einen Gefallen tut, darf bezweifelt werden.
Vollends irritierend war schließlich die Haltung zu Intimfeind Herbert Kickl, den Van der Bellen einst auf Vorschlag von Kanzler Sebastian Kurz als Innenminister aus dem Amt entließ: Ob er den FPÖ-Chef noch einmal als Minister angeloben würde? Auch hier ließ der Bundespräsident seine bisherige Deutlichkeit vermissen. "Das würde wirklich eine sehr schwere Entscheidung sein." Noch mehr Konjunktiv geht fast nicht.
Um die Stimmen aus dem linken Lager scheint sich Van der Bellen nicht zu sorgen. Ein Würstelstandbesuch mit Heinz Fischer, ein Wandertag mit Michael Ludwig - das muss reichen für die SPÖ, die zu kraftlos war, einen eigenen Kandidaten aufzubieten. (Bierpartei-Kandidat Dominik Wlazny könnte sich am Ende des Tages freuen.)
Langsam wird klar, warum der Bundespräsident TV-Konfrontationen und kritischen Fragen bisher lieber auswich. Die Debatten mit den Herausforderern könnten der "Würde des Amtes" schaden, formulierte man in seinem Umfeld stets als Ausrede. Seit gestern wissen wir: zu viel taktische Anbiederung auch.
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