Im Fall von Birgit Hebein, die via Facebook zu einem Rundumschlag gegen ihre nunmehrige Ex-Gesinnungsgemeinschaft ausholte, wäre zweitere Variante lohnend. Freilich, der Abgang der Wiener Grünen-Chefin – die im Herbst trotz gutem Wahlergebnis am roten Taktierer Michael Ludwig und sich selbst scheiterte –, war geprägt von persönlichen Kränkungen. Das schwingt im Posting mit. Dennoch steht sie mit ihrer Kritik nicht alleine.
Vielmehr artikuliert sie ein Gefühl, das so manch grünen Kernwähler an der Basis seit geraumer Zeit umtreibt. „Die grüne Politik erreicht nicht mehr mein Herz“, formuliert es Hebein. Das Fass zum Überlaufen brachte die Afghanistan-Krise.
Die ÖVP inszeniert sich seit Tagen unwidersprochen mit der kategorischen Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen. Ihre Partei, sagt Hebein, sei daran gescheitert, „mit einer Regierungsbeteiligung für eine Kurskorrektur zu sorgen“.
Doch sind die Vorwürfe gerechtfertigt? Aus humanitärer Sicht: Ja. Aus realpolitischer: Nur bedingt. Die Rolle des Juniorpartners in einer Koalition ist stets undankbar. Er muss Unliebsames mittragen, ohne selbst viele Akzente setzen zu können. Den Grünen ergeht es nicht anders als vielen vor ihnen.
Wer, wie die Grünen, in der Opposition sozialisiert ist – wo Forderungen selten den Realpolitik-Test bestehen müssen –, fühlt den Schmerz sicher stärker. Dass die türkise Zuwanderungspolitik manch Grünen an seine Grenzen (und darüber hinaus) bringen wird, darf aber nicht überraschen. Schon gar nicht Hebein, die den Koalitionspakt mitverhandelt hat. Um regieren zu dürfen, ging man das kalkulierte Risiko ein.
Parteichef Werner Kogler wird sich hüten, Türkis-Grün infrage zu stellen. Bei Neuwahlen gäbe es nichts zu gewinnen. Große Würfe konnte man bisher nicht präsentieren; das liegt nicht nur an der ÖVP, sondern auch an Corona. (Klimaministerin Leonore Gewessler geht mit Ökostrom-Gesetz, Asfinag-Baustopp und 1-2-3-Ticket in die Offensive, von Erfolgen ist sie aber noch weit entfernt.)
Warum die Grünen Hebein dennoch zuhören sollten? Weil die nächste Wahl kommt. Und da, spätestens 2024, werden sie – um im Sprachbild zu bleiben – das Herz ihrer Funktionäre und Wähler wieder erreichen müssen. Gute PR-Abteilungen wissen: Lautes Schweigen wird dann zu wenig sein.
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