Türkis gegen SPÖ-Wien: Falsche Zeit für Wahlkampf

Wien: Das Bundesland mit dem kaufkräftigsten Bezirk liegt im landesweiten Ranking auf dem letzten Platz
Die Bürger erwarten, dass die Energien der Parteien in die Krisenbekämpfung fließen

Wir schreiben den 19. Mai. Die Wahl in Wien ist am 11. Oktober. Die Vorstellung, dass der Wahlkampf die nächsten fünf Monate so weitergeht, nervt jetzt schon.

Die Grundaufstellung lautet wie folgt: Die ÖVP versucht mit aller Kraft, in Wien irgendwie ins Match zu kommen. Das kann sie nur von der Bundesebene aus. In Wien selbst ist die ÖVP – vorerst noch – eine Kleinpartei mit neun Prozent und außerdem in Flügel gespalten. Wirtschaftskammerboss Walter Ruck ist, anders als die Türkisen, ein überzeugter Sozialpartner und kooperiert eng mit der (roten) Stadtpolitik. Als Bürgermeister Michael Ludwig kürzlich den 25-Euro-Gasthausbon präsentierte, saß Ruck an seiner Seite.

Innenminister Karl Nehammer, zuvor Generalsekretär der ÖVP, spielt den türkisen Angreifer auf das Rote Wien. Die Stadtpolitik habe die Virenherde nicht im Griff und verweigere die Zusammenarbeit mit dem Bund, lauten Nehammers publikumswirksam vorgetragene Vorwürfe.

Die Wiener SPÖ nimmt die Attacken dankbar auf. Sie sind eine Mobilisierungshilfe, wie sie sich jeder Wahlstratege wünscht. Motto: Wir müssen zusammenhalten gegen die, die unser Wien schlechtmachen. Den roten Gegenspieler zum türkisen Nehammer gibt Peter Hacker, der um deftige Sager nicht verlegene rote Gesundheitsstadtrat.

Selbstverständlich wissen die türkisen Strategen, dass ihre Angriffe der Wiener SPÖ nutzen. Das türkise Ziel sind ja auch nicht in erster Linie SPÖ-Wähler, sondern FPÖ-Wähler. Die Blauen hatten in Wien bei der Gemeinderatswahl 2015 31 Prozent erreicht. Seit Ibiza befinden sie sich im freien Fall und wie stets, seit Sebastian Kurz ihr Obmann ist, nimmt die ÖVP die FPÖ-Stimmen ins Visier.

Für die Grünen ist der Boden etwas glitschig. In Wien regieren sie mit Rot, im Bund mit Türkis. Am Montag haben Vizekanzler Kogler und Gesundheitsminister Anschober auf offener Bühne den Innenminister korrigiert. Jetzt berührt der Kampf um Wien auch schon die Bundesregierung.

Das ist der eigentlich kritikwürdige Punkt: Bei allem Verständnis für Wahlkampf, aber die Corona-Krise ist nicht ganz ausgestanden, die Dimension der Wirtschaftskrise noch gar nicht absehbar. Die Bürger dieses Landes, egal ob Wiener oder nicht, erwarten sich von den Institutionen und Parteien, dass sie ihre Energie in die Krisenbekämpfung investieren. Selbstständige und Unternehmer beklagen, dass versprochene Hilfen nicht ankommen. Kurzarbeiter und Arbeitslose warten auf Konjunkturpakete, die ihnen wieder zu einem Erwerbseinkommen verhelfen.

Es gibt wahrlich eine Menge zu tun, und wenn der Wien-Wahlkampf nach der Sommerpause beginnt, ist es auch noch früh genug.

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