Tanzen und Lipizzaner

Ich komme mir vor, wie eine Haflingerstute zwischen Lipizzanern
Simone Hoepke

Simone Hoepke

Ich komme mir vor, wie eine Haflingerstute zwischen Lipizzanern

von Mag. Simone Hoepke

über Ballett

Neulich im Kaffeehaus. Während ich mir ein Stück Schwarzwälder-Kirsch-Torte in die Figur stelle, erzählt Markus, woher er seine Oberschenkel hat. Seine top-geformten Oberschenkel, wie alle in der Runde betonen.

Aus dem Ballett.

Ich glaube, mich verhört zu haben. Hab’ ich nicht.

Mit 36 Jahren nimmt er plötzlich Ballettstunden. Wegen der Oberschenkelinnenseiten warat’s. Eh klar. Wegen dem zweiten Karriereweg wird’s nicht gewesen sein. Als Balletttänzer ist man ja bekanntlich mit Mitte 30 pensionsreif. Oder hat zumindest kaputte Knie.

Markus tänzelt zum Geklimper des Klavierspielers auf Zehenspitzen zwischen voll besetzten Tischen zur Kuchenvitrine und bestellt eine Kalorienbombe der Sonderklasse. Ich verkneife mir Wortmeldungen à la "fünf Sekunden im Mund, ein Leben lang am Oberschenkel".

Eine Woche später stehe ich selbst an der Ballettstange. Seit ein paar Sekunden weiß ich, dass selbige auf französisch "Barre" heißt und wie "Bar" ausgesprochen wird. Das ist auch schon das Positivste, was mir zu meiner ersten Ballettstunde einfällt.

Ich komme mir vor wie eine lahmende Haflingerstute zwischen tänzelnden Lipizzanern.

Stelle fest, dass ich das Bein nur ungelenk auf die Stange wuchten kann. Frage mich, wie ich es jemals wieder unfallfrei runterbringen soll. Nehme zur Kenntnis, dass ich mich kaum auf Zehenspitzen halten kann. Das 60-Minuten-Drama wird von klassischer Musik untermalt, zerrissen von Zwischenrufen der Prima-Ballerina. "Popo anspannen! Lächeln! Dem Oberkörper sieht man die Schmerzen in den Beinen nicht an! Durchhalten! Der Körper kann mehr! Egal, was der Kopf sagt! Und schön lächeln!"

Erst Tage später lässt der Muskelkater nach. Ich trabe zu den Lipizzanern in die Spanische Hofreitschule. Stelle fest, dass das eine einzige Männerwirtschaft ist. Keine einzige Stute im Stall. Weil das Imponiergehabe, das Steigen, Tänzeln auf den Hinterbeinen, von Natur aus dem Hengst liegt, nicht der Stute.

Lipizzaner sind nicht anders als gewöhnliche Bürohengste.

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