Schulterzucken zu Wildwest?
Es war im Oktober vor einem Jahr, als Daphne Caruana Galizia im Norden Maltas in ihren Kleinwagen stieg und von einer per SMS gezündeten Bombe in die Luft gejagt wurde. Die Journalistin hatte über ranghohe Politiker bis hinauf zum Premier und deren Verbindungen zu reichen Russen und Offshore-Firmen berichtet.
Vor acht Monaten wurden Ján Kuciak und seine Verlobte in ihrem Haus östlich von Bratislava erschossen. Der Aufdecker-Journalist hatte über Mafia-Kontakte, Drogen-Geschäfte und Geldwäsche bis in höchste Regierungskreise recherchiert. Der Doppelmord kam, wie das im Medienjargon so unschön heißt, „einer regelrechten Hinrichtung gleich“.
Am 2. Oktober dieses Jahres spazierte der saudische Journalist und Regimekritiker Jamal Khashoggi ins saudi-arabische Konsulat in Istanbul, um sich Dokumente für die Hochzeit mit seiner Verlobten zu holen, die vor der Tür wartete. Drinnen wartete ein extra eingeflogenes Killerkommando, das dem „Schreibtischtäter“ bei lebendigem Leib die Finger abschnitt und ihn weiter zerstückelte – so der Stand der türkischen Ermittlungen.
Die drei Fälle haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun, außer dass es sich bei den Opfern um Journalisten handelt. Aber: In allen Fällen sollten Kritiker beseitigt werden, und zwar von jemandem, der enge Kontakte zu einer Staatsmacht hatte. Zumindest. Ja mehr noch: Da wurden ungeniert Exempel statuiert.
Der Lack des saudischen „Reformers“ ist ab
Bewiesen ist natürlich nichts, wiewohl: Derart offensichtlich und plump, wie Khashoggis Tötung erfolgte – das ließe sich nicht einmal für einen schlechten Politthriller im Kino erfinden. Der Lack des angeblich reform- und weltoffenen saudischen Kronprinzen, unter dessen Augen Solches möglich ist respektive bestellt wurde, ist ab.
Was die Welt gerade lernt: Gegen die Ungeniertheit politischer Selbstjustiz, ob es sich um Morde an Journalisten, Giftanschläge auf russische Ex-Agenten oder Verhaftungen angeblicher Terror-Helfer in der Türkei handelt, gibt es wenig Mittel. In Demokratien bleibt theoretisch das Vertrauen in den Rechtsstaat – aber was, wenn Machthaber sich die Macht nehmen, am Rechtsstaat vorbei zu agieren? Auf die nächsten Wahlen hoffen?
Bei wenig bis gar nicht demokratischen Systemen bliebe das Mittel der Ächtung. Doch das ist abhängig von der Beweislage. Und es ist realistischerweise abhängig von der Interessenslage. Das Herumgeeiere Donald Trumps um ein klares Statement zum mutmaßlichen Staatsverbrechen durch saudische Häscher ist unerträglich – aber den US-Interessen im Nahen Osten, der Feindschaft zum Iran und den eigenen Geschäften geschuldet. Moral und Recht sind da keine Kategorie.
Je weniger sie das aber sind, je mehr brutale Unverfrorenheit aus Interessens-Pragmatismus toleriert wird, desto mehr wird sich die Welt mit staatlichem Wildwest konfrontiert sehen. Und ihren Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit selbst untergraben. andreas.schwarz
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