Schrecken ohne Gleichgewicht

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Im Kalten Krieg fürchtete die Welt Atomwaffen - heute ist die Gefahr viel größer. Auch, weil Rationalität in der Politik seltener ist.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Heute läuft der INF-Vertrag aus – das ist jene Abrüstungsvereinbarung aus dem Jahr 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion, die „die Gefahr eines für die ganze Menschheit verheerenden Atomkrieges“ bannen sollte, wie es in der Präambel heißt.

Es ist zu vermuten, dass diese Nachricht viele Menschen heute kalt lässt. Die Atomkriegsgefahr, mein Gott, das war doch gestern, oder?

Damals, vor 30 Jahren, zum Ende des Kalten Krieges, war in der Tat noch Einiges anders. Das amerikanisch-sowjetische Kräftemessen war in den Jahrzehnten davor mehrmals sehr heiß, von der Berlin-Blockade über die Kuba-Krise bis zur gnadenlosen Aufrüstung in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren (trotz bereits intakter nuklearer Abrüstungsverträge). Die Sprengköpfe auf beiden Seiten hätten gereicht, die Welt mehrfach zu vernichten. Nicht nur der legendäre Film „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ führte vor Augen, wie haarscharf die Welt an einer nuklearen Katastrophe lebte. Manchmal war sie auch in realita ziemlich nahe dran.

Gleichzeitig hat das „Gleichgewicht des Schreckens“, wie das Drohszenario euphemistisch genannt wurde, das Äußerste verhindert. Beide Seiten wussten um das Potenzial des jeweils Anderen und darum, dass es einen Sieg ohne eigene Apokalypse nicht geben konnte. Und letztlich haben die Amerikaner unter Ronald Reagan mit ihrem Aufrüstungsdruck die Sowjetunion finanziell ausgeblutet, in die Knie gezwungen und den Mauerfall erst ermöglicht. Zeitgleich wurden Tausende Pershing I und II auf amerikanischer und SS20-Raketen auf sowjetischer Seite „geschreddert“, ganz offiziell, dank INF-Vertrags.

Atomwaffen ohne KontrolleUnd heute? Horst Teltschik, der außenpolitische Berater Helmut Kohls aus dieser Zeit, sagt im KURIER-Interview, dass die gegenwärtige Lage viel gefährlicher sei (Seiten 4, 5).

Der amerikanische Präsident alteriert sich über einen verhaltensoriginellen Nordkoreaner, der ein paar Atomwaffen hat und mit Raketen übt, und platzt vor Muskelkraft gegenüber dem Iran, den er verdächtigt, Nuklearwaffen zu basteln. Aber das ist in Wahrheit Folklore. In Wirklichkeit stehen die Atomwaffen immer unkontrollierter in der Welt. Die USA und Russland entziehen sich Vereinbarungen, zu nuklear ungebremsten Russen und Amerikanern kommen auch Chinesen. Die Raketen fliegen schneller als früher und sind kaum von einer Abwehr erfassbar. Die Aufrüstung reicht bald in den Weltraum.

Und die Gefahr, dass jemand den Knopf drückt? „In Kriegssituationen ist die Rationalität sehr begrenzt“, sagt Teltschik. Dafür wächst die Zahl irrationaler Staatenlenker, die zu einem Gleichgewicht des Schreckens, das letztlich eines der Vernunft war, nicht wirklich taugen. Leider gibt es zum Abschied vom INF-Vertrag keine beruhigendere Botschaft.

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