Schengen-Veto: Zwischen Hilferuf und Geiselhaft

Teilweise gibt es lange Wartezeiten an den rumänischen und bulgarischen Grenzen
Gerhard Karners Njet löst die aktuelle Migrationskrise nicht. Es soll die EU in der Flüchtlingspolitik aufwecken. Doch daran fehlt der Glaube
Richard Grasl

Richard Grasl

Der Druck auf den Innenminister war groß, am Ende sehr groß. Selbst Bundespräsident Van der Bellen soll sich telefonisch ins Zeug gelegt haben, um Gerhard Karner wenige Stunden vor dem Schengen-Veto umzustimmen. Ebenso der tschechische Ratsvorsitz, die deutsche Innenministerin und die zuständige EU-Kommissarin. Doch Karner blieb hart und verhinderte den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum, in dem es keine Grenzen mehr gibt. Im Übrigen finden derzeit wegen der angestiegenen Migration fast überall wieder viele Kontrollen an den stillgelegten Grenzübergängen statt.

Warum hat es der österreichische Innenminister trotzdem getan?

Zugetraut wurde es ihm und der ÖVP im Vorfeld nicht. Selbst die sonst gut informierte, bürgerliche Tageszeitung Die Presse schrieb noch Anfang der Woche, dass es sich bei der Veto-Drohung nur um eine typisch österreichische Operette handle, Österreich einknicken werde, weil es sonst ja einmal eine echte Oper wäre. Die aktuellen Migrationszahlen sind nur der Anlass, können aber nicht der wahre Grund für Karners Njet gewesen sein. Zwar kommen die meisten Migranten über die ungarisch-burgenländische Grenze an, doch sie haben selten bulgarisches oder rumänisches Land betreten. Die Route führt über Serbien und Ungarn in die EU. Viktor Orbán schickt sie unregistriert weiter, während sich Österreich rechtsstaatlich korrekt daran hält, die Flüchtlinge zu registrieren und Fingerabdrücke aufzunehmen.

Wohlwollend könnte man sagen, es war ein Hilferuf Österreichs, dass man die hohe Zahl an Asylwerbern nicht mehr aufnehmen könne. Dass das Burgenland angesichts der Widerwilligkeit Ungarns eigentlich zur Schengen-Außengrenze wurde. Dass Österreich das erste Land auf der Fluchtroute ist, in dem Flüchtlinge auch bleiben wollen, weil der Lebensstandard hoch ist. Genauso kann man Karner und der ÖVP aber vorwerfen, angesichts schwacher Umfragedaten und bevorstehender Landtagswahlen Bulgarien und Rumänien samt den europäischen Werten in Geiselhaft zu nehmen. Doch Veto-Politik ist in der EU nichts Neues.

Die Wahrheit hat wohl beide Seiten dieser Medaille. Die Scherben, die Karner am Donnerstag zweifellos in Brüssel hinterlassen hat, werden Österreich und seine Wirtschaft noch länger spüren. Dass es damit gelingt, einen Anstoß zu einer funktionierenden europäischen Migrationspolitik zu geben, ist mehr als fraglich. Zu oft und zu lange schon scheitern sämtliche Vorhaben für einen echten Außengrenzschutz, eine Abwicklung der Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, eine europaweit faire Verteilung jener, die wirklich Schutz suchen und brauchen, und rasche Abschiebungen jener, die nur aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Das Versagender europäischen Migrationspolitik ist die wahre Operette in Brüssel, die keiner mehr länger sehen und hören möchte.

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