Putins Geschichte

Wladimir Putin sitzt an einem langen Tisch in einem prunkvollen Saal.
Wladimir Putin narrt die Welt und strickt sich seine, wie es ihm gefällt. Seinen Anspruch, geachteter Weltpolitiker zu sein, hat er verspielt
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Am 22. 2. 2022 hat Wladimir Putin Geschichte geschrieben. Und zwar eine für ihn sehr nachteilige: Der russische Präsident hat sich in die Reihe der großen Staatsverbrecher der Geschichte eingereiht. Jede weitere Eskalation, jeder Tote dort, wo seine Soldaten jetzt einmarschieren, geht auf sein Konto.

Monatelang hat Putin den Westen genarrt. Er ließ seine Truppen rund um die Ukraine aufmarschieren, er beteuerte wortreich, keine Aggression zu planen, und er zwang die Amerikaner an den Verhandlungstisch. Er schickte noch mehr Truppen und verlangte ultimativ Garantien (keine NATO-Erweiterung, Reduzierung der Präsenz in Osteuropa), von denen er wusste, dass sie so nicht erfüllbar sind.

In den letzten Wochen, als die Kriegsgefahr zum Greifen war, machte er sich über die „Hysterie“ des Westens lustig – und legte jeden Tag ein Schäuferl nach. Bis zur völkerrechtswidrigen Anerkennung der Separatistengebiete und dem Einmarsch erster „Friedenstruppen“.

Und warum? Es gibt zwei Erklärversuche. Entweder, Putin hat nach bald einem Vierteljahrhundert an der Macht erkannt, dass der Westen ein leichter Gegner ist bei seinem Bestreben, die Nachkriegsordnung (nach dem Kalten Krieg) neu aufzustellen. Eine zerrissene EU, nach einem erratischen und erpressbaren US-Präsidenten jetzt ein „Sleepy Joe“ – besser könnte die Lage für ihn gar nicht sein. Oder Putin hat nach bald einem Vierteljahrhundert Herrschaft im Kreml jede Bodenhaftung verloren – ein Schicksal, das er mit anderen Potentaten teilt. Das Geschwurbel, mit dem er in der Nacht auf Dienstag zwischen Lüge, Propaganda und Historien mäanderte, lässt darauf schließen.

Vielleicht ist es beides. Es wäre gleich schlimm. Selbst wenn Putin damit recht hat, dass der Westen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Siegermentalität die Schwäche Moskaus ausnützte und sich in Osteuropa breit machte: Rechtfertigt das die Bedrohung, Terrorisierung und militärische Vereinnahmung eines unabhängigen Staates? Was kommt noch: Belarus, die baltischen Staaten – "heim ins Reich"?

Kein Mensch weiß, wie es weitergeht. Verhandlungsangebot an Europa? Neue Eskalation? Nach dem Scheitern der Macron-Initiative ruht alle Last der Welt auf den Schultern des amerikanischen Präsidenten. Der heißt zum Glück nicht mehr Donald Trump – eine unguided missile auf der Weltbühne in Moskau reicht –, sondern Joe Biden. Er und ein geeinter Westen müssen Putin Paroli bieten.

Wladimir Putin hat auf alle Zeiten das verloren, was ihm dem Vernehmen nach am wichtigsten war: von den führenden Politikern der Welt auf Augenhöhe wahrgenommen, geachtet und respektiert zu werden. Staatsverbrecher achtet und respektiert man nicht.

Porträt eines Mannes mit Brille und blauem Sakko vor dem Schriftzug „Kurier Kommentar“.

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